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BERICHT/004: "Die Untoten" - Im Stahlbad der transhumanistischen Optimierungsdoktrin (SB)


"Enhancement" ... mehr auf der Basis von weniger

Von Stefan Kroll
Andy Miah mit Sohn Ethan  - Foto: © 2011 by Schattenblick

Andy Miah mit Sohn Ethan
Foto: © 2011 by Schattenblick

Der Wunsch nach einem besseren und möglichst langen Leben ist bei vielen Menschen fraglos gegeben. Seine technische Verwirklichung und ideologische Glorifizierung im Rahmen transhumanistischer Weltanschauung hingegen krankt daran, daß individuell erwirtschaftete Vorteile meist zu Lasten anderer gehen. Die insbesondere in der angloamerikanischen Welt populär gewordene Vorstellung, eine mit technischen und medizinischen Mitteln erwirtschaftete Optimierung des Menschen münde in eine posthumane Gesellschaft, in der die Erweiterung und Überwindung biologischer Grenzen zum größeren Nutzen aller erfolge, klammert konstitutive Gewaltverhältnisse aus, die, wie der Hunger eines Sechstels der Weltbevölkerung, schon jetzt als selbstverständliche Begleiterscheinung des herrschenden Verwertungssystems akzeptiert werden. Sie frönt zudem einer szientistischen Affirmation, die hinsichtlich des unterstellten universalen Nutzens ingenieurstechnischer und wissenschaftlicher Optimierung jeder Grundlage entbehrt.

Mit Andy Miah und Aubrey de Grey waren zwei bekannte Transhumanisten auf dem Kongreß "Die Untoten" präsent, um in die Grundzüge dieser als Philosophie zweifellos überbewerteten Weltanschauung einzuführen. Professor Miah, Direktor des Creative Futures Research Centre & Chair of Ethics and Emerging Technologies in der Faculty of Business & Creative Industries an der University of the West of Scotland, bestritt die erste Hälfte des Vortrags im Bühnenbild des "Friedhofs" zusammen mit seinem Sohn Ethan, den er als transhumanes Baby vorstellte. Was Ethan als solches auszeichnet, ist eher unspektakulär und vermittelt den Eindruck, daß Miah zu den besonneneren Vertretern dieser Bewegung zählt. Dies illustriert er mit der Erklärung, auf das Konservieren von Nabelschnurblut seines Sohnes verzichtet zu haben, weil ansonsten die von seiner Frau gewünschte Heimgeburt nicht durchzuführen gewesen wäre. Die von ihm erwähnten Impfungen sind bei Kleinkindern ebenso normal, als es ein smartes T-Shirt, das ständig die Temperatur des Babys mißt und bei zu großer Abweichung Alarm schlägt, sicherlich bald sein wird. Auch die Flourierung des Trinkwassers, die Miah als Errungenschaft nicht nur für die Gesundheit seines Sohnes anpries, wird schon seit Jahrzehnten diskutiert.

Worum es dem bekannten Transhumanisten im Kern geht, erschließt sich aus seiner besonderen Hinwendung zum Sport als einem Feld körperlicher Aktivitäten, auf dem der Gedanke der biologischen Optimierung fugenlos an konventionelle Methoden der körperlichen Leistungssteigerung anschließt. Ausgehend von der angeblich ungenügenden Ausstattung des Menschen, die im Wettkampf aufkommenden Anforderungen zu bewältigen, spricht sich Miah für die genetische Manipulation des Athletenkörpers aus, die selbstredend auch der Gesundheit diene. Sein Eintreten für die Erforschung eines Proteins, dessen schmerzunterdrückende Wirkung sportliche Leistungssteigerung indirekt ermöglichte, so daß es nicht unter das Verbot des Dopings, also des Einsatzes leistungssteigernder Substanzen fiele [1], demonstriert jedoch, daß der Spitzensport auf die Maximierung körperlichen Verschleisses nicht nur nicht verzichten kann, sondern diese voraussetzt.

Das Optimierungsparadigma Sport hat den Vorteil, idealisierte Vergleichsbedingungen in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, deren räuberischer Charakter sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Schneller, weiter und höher als andere zu sein verabsolutiert die Parameter des Leistungsvergleichs auf eine Weise, die den Athleten zur bloßen Funktion eines Wettbewerbs unter vermeintlich gleichen Ausgangsbedingungen degradiert. Nicht der Mensch, die Zahlen und Ergebnisse regieren den Leistungssport und machen ihn damit zu einem Labor exemplarischer Ertüchtigung für die Erfordernisse der neoliberalen Konkurrenzgesellschaft. Siege auf dem Schlachtfeld und Produktivitätssteigerungen in der Fabrik bilden den gesellschaftlich relevanten Ertrag der im Jubel über neue Rekorde gefeierten Leistungsdoktrin, die die Schmerzen des an den Folgen verschleißträchtiger Überbelastung laborierenden Athleten vergessen machen.

Das zur Etablierung einer objektiven Vergleichsgrundlage geschaffene Regularium durch die wissenschaftliche Erschließung von Leistungsressourcen physischer wie apparativer Art zu unterlaufen findet längst statt, wie Miah zutreffend ausführt. Insofern ist sein Argument stimmig, daß biologische Modifikationen am Körper des Athleten keine prinzipielle Neuerung darstellen. Wenn er allerdings propagiert, Menschen unter anderem für die sportliche Leistungsoptimierung nach genetischen Kriterien auswählen zu können, dann kann die Behauptung, dies diene dem Wohl der gesamten Population, nicht darüber hinwegtäuschen, daß er der eugenischen Bewirtschaftung der Bevölkerung das Wort redet.

Dies geht, wie nicht nur aus der Geschichte des NS-Staates bekannt, früher oder später zu Lasten als unzureichend angepaßt und ausgestattet, sprich als minderwertig verworfener Menschen. Konkrete Forderungen nach der Legalisierung biologischer und biomedizinischer Optimierungstechniken finden nicht im luftleeren Raum statt, sondern inmitten einer den Imperativ ökonomischen Nutzens verabsolutierenden Gesellschaft. Daß deren Produktivität durch den sozialdarwinistischen Drill gesteigert wird, ist kein Geheimnis. Ungern zum Thema erhoben wird allerdings die Frage, wer seine Knochen hinhält für eine gesamtgesellschaftliche Rentabilität, deren Nutznießer eher nicht der zerstörerischen Fremdbestimmung zudem schlecht entlohnter Erwerbsarbeit ausgesetzt sind.

Miah hat durchaus erfaßt, daß die im Leistungssport propagierte Fairness lediglich Feigenblatt der niemals zureichenden Egalisierung athletischer Ausgangsbedingungen ist. Diese macht in ihrem Fluchtpunkt perfekter Vergleichbarkeit ohnehin keinen Sinn, weil die subjektiven Momente, die über Sieg oder Niederlage entscheiden, unter diesem Anspruch gegen Null gehen müssen. Sich im engen Rahmen des Regelwerks Vorteile zu verschaffen erfordert einen dementsprechend aufwendigen Einsatz wissenschaftlich-technischer Mittel, was die große Attraktivität des Leistungsports als Labor aller mit dem Menschen befaßten Natur- und Sozialwissenschaften erklärt. Miahs Behauptung, die gesellschaftliche Anerkennung leistungssteigernder Technologien schaffe mehr Gleichheit im Sport, führt denn auch in die Irre eines Liberalismus, der von den materiellen Voraussetzungen abstrahiert, die der Freisetzung aller Leistungsressourcen im Felde des verwissenschaftlichten Sportes zugrundeliegen. Produziert wird der Heros des umjubelten Siegers in den Schmieden eines HighTech-Demiurgen, in dem abstraktes Verwertungsinteresse die Antithese zur individuellen Grenzüberschreitung bildet.

Andy Miah mit Sohn Ethan - Foto: © 2011 by Schattenblick

Lebenslust ganz ohne biomedizinische Prothesen
Foto: © 2011 by Schattenblick

Die für den Transhumanismus zentrale Bewertung des Menschen als Mängelwesen wurde bereits in den 1960er Jahren von dem deutschen Soziologen Arnold Gehlen vorgedacht. Sein Schluß, der Mensch bedürfe stabiler Institutionen technischer, sozialer wie gesellschaftlicher Art, um diesen Mangel in Form einer organischen Erweiterung seiner selbst zu kompensieren, lief auf eine Unterordnung hinaus, die von der linken Studentenschaft als konservativer Gegenentwurf zu ihrem Anspruch auf Selbstbestimmung und Emanzipation kritisiert wurde. Unter dem neoliberalen Primat permanenter Selbstoptimierung scheint das allgemeine Bewußtsein für die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Ideologie regelrecht eliminiert worden zu sein. Es paßt nicht ins Bild einer Überlebensdoktrin, die den einzelnen in den Fokus menschheitlicher Entwicklung rückt und den gesellschaftlichen Fortschritt als größeren Nutzen der größeren Zahl jeglicher sozialen Verantwortung enthebt, das Wohl des anderen im allgemeinen und des Schwächeren im besonderen zum Ziel eigener Lebenspraxis zu erklären.

Ganz im Gegenteil bricht sich die evolutionäre Dynamik des Transhumanismus mit einem Überlebensprimat Bahn, das den anderen im antagonistischen Sinne zum Parameter eigener Optimierung degradiert. Der Komparativ individueller Verbesserung siedelt den eigenen Lebenserfolg in jenem kleinen Vorsprung an, der dem gemeinsamen Problem der Endlichkeit den Raum vermeintlich gelungener Flucht abgewinnt. Wenn Miah erklärt, Transhumanisten könnten über den Menschen als solchen nicht nachdenken, weil der Mensch sich ständig verändernden Umgebungsbedingungen ausgesetzt ist, dann spiegelt sich darin die Enge einer Weltsicht ohne jegliche Transzendenz. Dieser bescheidene Positivismus mündet denn auch in einen Legalismus des "Enhancements", der die Freisetzung dazu notwendiger medizinischer Techniken ohne therapeutische Indikation zum Ziel hat.

Miahs in den Raum des Kongresses gestellte Frage, was die Gesellschaft tun könne, um diese vermeintlichen Verbesserungen am Menschen zu ermöglichen, beantwortet sich durch die vorweggenommene Bewertung von selbst. Das Spektrum transhumanistischer Optimierungshorizonte beginnt mit bereits üblichen Praktiken wie der Geschlechterauswahl bei Embryonen und dem sogenannten Neuro-Enhancement zur kognitiven Leistungssteigerung über die Funktionalisierung der Nahrung durch genetische Evaluation im Rahmen sogenannter Nutrigenomics und den Einsatz medizinischer Nanotechnologie bis hin zur genetisch induzierten Steigerung des Längenwachstums oder die bioorganische Erweiterung des menschlichen Körpers in völlig neuartiger Weise. Für Miah ist die Frage, wie weit man bei der Modifikation des Menschen gehen sollte, um einen spezifischen Lifestyle zu führen, prinzipiell offen. Seinem liberalen Credo gemäß stellt sich die Frage andersherum, bringt doch der angestrebte Lifestyle erst die medizinischen Interventionen hervor, die ihn ermöglichen. Während seiner Forderung, Entscheidungen für eine individuelle Lebensweise in jedem Fall zu legalisieren, so lange sie niemandem schaden, ohne weiteres zuzustimmen ist, ist über den Schaden, den eine transhumanistische Vergesellschaftung anrichten könnte, das letzte Wort längst nicht gesprochen.

Schließlich laufen Konzepte des britischen Wissenschaftlers wie dasjenige, Optimierungstechniken am Kind so frühzeitig wie möglich durchzuführen, um maximale Wirkung zu erzielen, auf administrative Entscheidungen von möglicherweise folgenschwerer Art hinaus. Das gleiche gilt für alle Formen genetischer Selektion oder anderer Normierungen, die die Physis des Menschen zum Zwecke ihrer Optimierung zum Gegenstand haben. Nichts anderes als ein unterstellter Lebenswert steht zur Disposition der Objektivierung und damit umfassenden Anwendung optimierungstechnisch gesetzter Normen. Verbesserung setzt nicht nur einen schlechteren Status quo voraus, es ermöglicht auch die Stigmatisierung einer angeblichen Verschlechterung, wie sie etwa in sogenannter Fettleibigkeit verortet wird, deren Bekämpfung durch Massenscreening von Kindern und die Disziplinierung angeblich verantwortungsloser Eltern bereits auf den Begriff der "Überwachungsmedizin" gebracht wird.

Miahs Ansicht, die Liberalisierung biomedizinischer Eingriffe ohne jegliche therapeutische Indikation wäre mit der Abwesenheit staatlicher Regulation gleichzusetzen, entspricht dem neoliberalen Trugschluß von der Existenz einer selbstregulativen Marktwirtschaft. So wie das ökonomische Geschehen durch währungspolitische Garantien, staatliche Fiskal- und Infrastrukturpolitik sowie vor allem die Eigentumsordnung schützende Repression garantiert wird, ist das einzige Kapital des Staates, seine Bevölkerung, niemals frei von seiner Bewirtschaftung auch und gerade im medizinaladministrativen Sinne. In der Bestimmung des Lebenswerts, die jeder verallgemeinerten Verbesserungsdoktrin vorausgeht, schreibt sich die Herrschaft des Menschen über den Menschen auf besonders wirksame, die vermeintliche Objektivität physischer Normen unterstellende Weise fort. Vor dem Hintergrund mehrerer synchron verlaufender und global wirksamer Krisen spitzt sich die Anthropologie des Mängelwesens Mensch auf potentiell genozidale Lösungen zu, wenn die Frage einer Verbesserung nicht als egalitäres soziales Anliegen artikuliert und gegen den Primat kapitalistischer Verwertung in Stellung gebracht wird.

Fußnote:

[1] http://www.andymiah.net/2010/10/21/the-dream-gene-for-the-posthuman-athlete/

Zu "Die Untoten" bisher erschienen:

BERICHT/003: "Die Untoten" - Pressegespräch zu Kongress & Inszenierung vom 12.-14.5.2011 auf Kampnagel (SB)

Schaukasten auf Kampnagel - Foto: © 2011 by Schattenblick


Foto: © 2011 by Schattenblick

18. Mai 2011