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BERICHT/039: Ein Essay über Autorinnen im Exil (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 93, 3/05

Herumirrende Musen

Ein Essay über Autorinnen im Exil und ihre Art zu kommunizieren


Sarita Jenamani

Exil ist ein Zustand im Limbo, erlitten durch entwurzelte Menschen. Frauen hatten schon lange vorher in diesem Zustand zu existieren, egal, ob sie sich innerhalb oder außerhalb der politischen Grenzen ihres Landes befanden. Sie haben im Exil zweifache Qualen zu erdulden.

Entwurzelung und Vertreibung katapultieren sie in eine Umgebung, wo ihnen nicht nur der Boden unter den Füßen entzogen wird, sondern wo ihnen auch meist die Macht ihres Ausdrucks genommen ist, die Sprache. Die moderne Geschichte mit ihren erzwungenen oder freiwilligen Grenzüberschreitungen, mit ihren massiven Bevölkerungstransfers und den verpflanzten Kulturen ist Bestandteil der postkolonialen und postmodernen Erfahrung. In diesem Sinn finden wir eine Unzahl Illustrationen von Migration und Identitätssuche in der heutigen Literatur.


Überleben - weg von zu Hause

Das Konzept von Exil bedeutet im Grunde "nicht zu Hause zu sein" oder "weg von zu Hause", es stellt aber auch eine komplexe Frage an die kritische Theorie des Literaturdiskurses. Emigration, Vertreibung aus der Heimat, Flucht, Verbannung, Exodus, Nomadismus und Kosmopolitanismus - die Bedeutungen all dieser Begriffe variieren und ebenso ihre Konnotationen. Jede einzelne Form von Exil hat ihre Geschichte und natürlich ihre Auswirkung auf das Literaturschaffen der Exilautorinnen. Und was bedeutet "inneres Exil" oder "Exil innerhalb der Grenzen", was ist der Unterschied zum physischen Exil? Wo ist die Demarkationslinie von Emigration und erzwungenem Exil? Emigrantinnen können heimgehen wann immer sie wollen, Zwangsexilierte nicht. Wie wirkt sich dieser Unterschied auf die Autorinnen aus und welche Abdrücke hinterlässt er in den von ihnen hervorgebrachten Werken? Und dann müssen wir noch den sozio-politischen, kulturellen und sprachlichen Hintergrund der exilierten Autorinnen und Journalistinnen in Betracht ziehen.

Schon bald nachdem eine in ein anderes Land kommt, hat sie für ihre Lebensgrundrechte zu kämpfen, jene Rechte, die sie zu Hause für gegeben erachtet. Der Kampf um einen Lebensort, die Arbeitsgenehmigung für den Lebensunterhalt, die Anpassung an das neue Klima und so fort. Neben all diesen Problemen der neu entstandenen Identitätskrise formen allerlei Zutaten eines Adhoc- Lebensstiles eine Art dicke Smogwolke um den Geist jener kreativen und sensiblen Menschen, zu verwirrt für neue Kreationen. Das Ziehen von Ort zu Ort für einen Platz der Ruhe endet mit dem Verlust des Heims, der Besitztümer, der Erinnerung; und wenn sich der Smog etwas klärt, so findet eine sich wieder mit Bruchteilen an Identität, Bruchstücken an Sprache und Fragmenten an Kultur.


Abhandenkommen der LeserInnenschaft

Seit drei langen Jahren führt die kubanische Schriftstellerin Elvira Rodriguez eine eher prekäre Existenz in Deutschland, wo die Verlängerung ihres Visums von der neuerlichen Verlängerung ihres Stipendiums abhängt. Und obwohl schon einer ihrer Romane in einem in Deutschland ansässigen spanischsprachigen Verlag erschien, hat sie doch nicht die adäquate LeserInnenschaft in ihrem erst kürzlich erwähnten Land. Und sie weiß wirklich nicht, wie lange sie noch in dieser frustrierenden Situation zu verharren hat.


Eine Sprache finden

Schriftstellerinnen aus Lateinamerika, der Karibik und aus dem Maghreb teilen glücklicherweise die bedeutendsten Sprachen der entwickelten Länder und dieses Privileg erlaubt ihnen mit ihrem Literaturschaffen fortzufahren, obwohl sie sich im Exil befinden. Dies ist der Fall der algerischen Autorin Leila Sebbar, die - obwohl sie in Frankreich lebt - mit ihrer Arbeit fortfährt und damit ihre frankophonen LeserInnen in Frankreich und in Algerien erreicht, dank der weit verbreiteten französischen Medien. Auf der anderen Seite sehen Autorinnen aus jenen Regionen, die keine gemeinsamen Sprachen haben, ihre erste und härteste Hürde im Verlust der Sprache. Und damit im wichtigsten Instrument des literarischen Schaffens. Die in England niedergelassene kurdisch- irakische Schriftstellerin Haifa Zangana meint, für journalistische Zwecke schreibe sie über politische Angelegenheiten in Englisch, bei ihrer kreativen Arbeit verwende sie jedoch immer Arabisch.


Neue Medien als Chance?

Für exilierte Journalistinnen eröffnet die Internetpublikation eine neue Möglichkeit, um ihr Zielpublikum zu erreichen. Claudia Anthony ist eine Journalistin aus Sierra Leone, die vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land flüchten musste. Sie bekam ein Stipendium vom deutschen PEN-Club und lebt derzeit in Berlin. Trotz all ihrer Alltagsprobleme ist sie aktiv beim Publizieren im Internet, bei Seminaren, Symposien etc. Auf diese Art informiert sie ihre LeserInnen weiter über die Situation in ihrem Land. Ebenso macht es die pakistanische Journalistin Ameera Javeria, die in Kanada beim dortigen PEN-Club als Stipendiatin Zuflucht fand. Sie musste Ihr Land wegen ihrer eindrucksstarken Beschreibungen über den traurigen Zustand der islamischen Gesellschaft in Pakistan verlassen, im Speziellen wegen eines kontroversiellen Artikels über den Propheten Mohammed, der ihr eine Fatwa von islamischen Klerikern in der orthodoxen Stadt Peshawar einbrachte, einer Stadt an der afghanischen Grenze. Sie verwendet ihre Feder nun, um die Angelegenheit, die sie aus ihrer Heimat katapultierte, in Erinnerung zu halten und Zusammenhänge aufzuzeigen.

Auf der anderen Seite gibt es Autorinnen wie Taslima Nasreen, die sich in ihrer Muttersprache wohl fühlen, in ihrem Fall ist das Bengali, auch nachdem ihre Schriften aus ihrem Land verbannt wurden. Nun bleibt ihr als einzige Chance, ihre Schriften im benachbarten Indien zu publizieren, wo Bengalisch eine der Nationalsprachen darstellt. Sie zählt darauf, dass ihre Werke nach Bangladesch zurückgeschmuggelt werden, wo sie eine begrenzte Zahl von LeserInnen erreichen. Für eine große Zahl solcher Schriftstellerinnen, die in nicht so geläufigen Sprachen schreiben, gibt es kaum eine Chance, direkt aus ihren Originalsprachen weg übersetzt zu werden. Und wenn sie übersetzt werden, so geschieht es meist über Englisch oder eine andere Zwischensprache und die Originalität erleidet großen Schaden. Natürlich sind da immer noch die Chancen, im Web veröffentliche zu werden, aber die Frage stellt sich, wie viele Menschen in Entwicklungsländern einen Zugang zu Computer/Internet haben und wie viele davon die Gelegenheit wahrnehmen, um gerade Literatur zu lesen.


Neue Räume - unterschiedliche Rezeption

Nichtsdestotrotz überwinden viele Schriftstellerinnen die Hindernisse einer neuen Sprache und werden kaum von den Literatur- Pandits der Gastländer anerkannt. Es gibt aber Unterschiede zwischen der Salatschüssel-Kultur der USA und z.B. der sehr homogenen deutschen Kultur. Durch ihren kulturellen Hintergrund sind die Werke nicht nativer Schriftstellerinnen in Deutschland linguistisch und historisch gesehen subtiler als jene ihrer amerikanischen Gegenstücke. In einem Land wie Deutschland werden die Werke solcher Autorinnen gerne als ethnische, als Minderheiten- oder als Frauen-Literatur kategorisiert und nicht als Teil des Mainstream-Literaturschaffens angesehen.

Mit dem Auftreten der Globalisierung bringen neue Phänomene wie Exil, Migration und Transnationalismus einen Boom an Informationstechnologien mit sich, die dieser NomadInnen- Community viele verschlossene Türen öffnen.

Statistiken zeigen, dass fast 80% der weltweiten Flüchtlinge Frauen und Kinder sind, und dennoch haben sie sich erst hörbar zu machen. Schriftstellerinnen von Afghanistan, Bangladesch, Iran, Somalia, Irak, Kurdistan, Syrien und dem Kongo leben als Flüchtlinge im Exil und versuchen ihre Stimmen eher als Individuen zu hegen denn als Persönlichkeiten von Müttern, Schwestern, Ehefrauen oder Töchtern. Warum schneiden diese Frauen die Nabelschnur zu jenen Institutionen durch, die sie definieren? Was ist mit ihrem Selbstvertrauen, ihrer Individualisierung usw. geschehen? Sind sie erfolgreich auf ihrer Suche nach Freiheit oder sind sie unbewusst in eine neue Falle gegangen?

Bis diese anstehenden Angelegenheiten nicht genau hinterfragt sind, heißt es, Fragen zu stellen. All diese Fragen warten noch darauf, beantwortet zu werden. Aber statt nach den Antworten zu suchen, sollten Fragen gestellt werden.


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Webtipps:

http://www.literaturefestival.co.uk/2004/exile.html
http://www.limag.refer.org/Volumes/Sebbar.htm
http://www.literaturefestival.co.uk/2004/zeina.html
http://www.commondreams.org/views04/0219-06.htm
http://www.portalatino.com/platino/serviet/
UserRedirect?username=elvirarod
http://userpage.fu-berlin.de/-sampras/writers2/
claudiaanthony.html
http://mjfellows.org/journal/winter01/nazir.html

Literatur:

Aciman, Andre (Ed.):
Letters of Transit: Reflections on Exile, Identity,
Language and Loss (2000).

Stimmen aus dem Exil. Hrsg. P.E.N.-Zentrum-Deutschland
(Darmstadt 2005).

Zur Autorin:

Sarita Jenamani studierte in Orissa/Indien Wirtschaft. Die engagierte Feministin publizierte einige mehrfach ausgezeichnete Gedichtbände in Hindi und ihrer Muttersprache Oriya, in die sie zudem zahlreiche Bücher übersetzte (u. a. Milan Kundera, Garcia Lorca und Octavio Paz). Seit 2001 lebt sie in Deutschland und Österreich. Seit Mai 2005 ist sie auch Radioredakteurin bei "Women on Air". Das ungekürzte englische Original "On Wandering uses" finden Sie unter www.frauensolidaritaet.org

Übersetzung: Helga Neumayer


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 93, 3/05, S. 18-19
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

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