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FILMKRITIK/007: "Der goldene Kompass" - Fantasy Abenteuer (SB)


"Der goldene Kompass" - Fantasy Abenteuer




Kurz bevor ich selbst dazu kam, mir "Der Goldene Kompass" im Kino anzusehen, tauchte in irgendeinem Magazin ein etwas seltsamer Kommentar dazu auf. Darin wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, warum diese Geschichte kein richtiges Ende hätte und ob es denn wirklich notwendig sei, neuerdings aus jedem Film mehrere Teile zu machen. Darauf läßt sich im vorliegenden Fall schnell eine Gegenfrage konstruieren, nämlich: "Wie sonst sollte man ein Werk verfilmen, das bereits in Buchform als Trilogie vorliegt?"

Das drei Teile umfassende Gesamtwerk "His Dark Materials" von Philip Pullman ist schon länger im Handel und brauchte den Film wohl kaum als Zugpferd, um die Verkaufszahlen anzukurbeln. Es handelt von einem kleinen Mädchen namens Lyra Bellaqua, das in einem neo-viktorianischen England am Jordan College in Oxford aufwächst. Als Ziehkind des Direktors und der Professoren führt sie dort zunächst ein sehr behütetes Leben, in dem allerdings weder feste Strukturen noch echte Bezugspersonen vorhanden sind. Da sie die meiste Zeit sich selbst überlassen bleibt, treibt sich Lyra oft von morgens bis abends in der Umgebung des College herum, wo sie mit anderen Kindern Kämpfe austrägt und den Erwachsenen Streiche spielt oder mit ihrem besten Freund, dem Küchenjungen Roger, auf Dächern herumklettert. Die Welt, welche sie sich aufgebaut hat scheint in sich geschlossen zu sein, denn während ihrer Kindheit hat Lyra keine Veranlassung, sich mit dem zu beschäftigen, was sich außerhalb des Instituts abspielt.

Eines Tages bricht dieser kleine Kosmos allerdings unwiderruflich auf, als der vermeintliche Onkel des Mädchens, Lord Asriel im Jordan College eintrifft, um sich dort finanzielle Unterstützung für eine besondere Forschungsreise in den hohen Norden Lapplands zu verschaffen. Asriel ist zwar ebenso ein Wissenschaftler, wie seine Kollegen in Oxford, andererseits jedoch auch ein hart gesottener Abenteurer, der seine Zeit lieber bei der Feldforschung als in geschlossenen Räumen verbringt. Durch ihre extreme Neugier wird Lyra, im Wandschrank eines Konferenzraumes versteckt, Zeugin seines Vortrags vor einem kleinen Kreis von Wissenschaftlern. Im Zuge der "Besprechung" zeigt der weit gereiste Forscher ihnen bewegte Bilder einer geheimnisvollen Substanz, die einvernehmlich als "Staub" bezeichnet wird. Dieses Phänomen spaltet die Gesellschaft, in welcher Lyra und die Wissenschaftler leben, da die kleinen, leuchtenden Partikel angeblich die normale Realität mit anderen, parallelen Welten verbinden können. Asriel ist brennend daran interessiert, dieser Möglichkeit auf den Grund zu gehen, doch damit zieht er den Haß der Kirche auf sich, die ihre Machtstruktur innerhalb der bekannten Wirklichkeit bereits fest etabliert hat. Ihre Position kann durch die Entdeckung anderweitiger Existenzmöglichkeiten nur gefährdet werden. Daher muß nicht nur die nähere Erforschung des Staubes verhindert werden, sondern auch dessen Einfluß auf die Seelen der Menschen. Die Seele einer Person nimmt in der Welt, wie Pullman sie beschreibt, greifbare Gestalt an und begleitet jeden Einzelnen als Tier durch das Leben. Diese Manifestation des Ich wird als "Dämon" bezeichnet und bildet als eindeutig magische Erscheinung eben auch eine Brücke zwischen den Parallelwelten, welche die Kirche so fürchtet, und ihren Untertanen, den Menschen. Um diese Verbindungsmöglichkeit ein für allemal zu zerstören, planen die machtbesessenen Geistlichen angeblich, ein sicheres Verfahren zu entwickeln, mit dem sie in Zukunft die Verbindung zwischen Menschen und Dämonen abschneiden können, solange diese noch Kinder sind.

Da der Staub nach Aussage der Kirche eine Person erst ab einem gewissen Alter in Denken und Wahrnehmung beeinflussen kann, würden all jene, deren Band zur eigenen Seele frühzeitig gekappt wird, der Kirche weiterhin gehorchen. Zum Zweck der Machterhaltung wurde eine spezielle "Oblationsbehörde" gegründet, die nicht nur gegen Freigeister wie Lord Asriel vorgeht, sondern auch brutale Experimente mit Kindern und ihren Dämonen macht.

Lyra weiß zwar von alldem nichts, doch sie ist in Wirklichkeit die Tochter von Lord Asriel und seiner Gegenspielerin, Mrs. Coulter, welche als Gründerin der Oblationsbehörde ihr eigenes Machtspiel betreibt. Zufällig vereitelt Lyra einen Mordanschlag der Behörde auf Lord Asriel und gerät kurz nach der belauschten Konferenz mitten in den Konflikt zwischen ihm und Mrs. Coulter. Das kleine Mädchen hat nämlich spezielle Fähigkeiten, die sie ermächtigen, entscheidend in die Auseinandersetzung zwischen beiden Parteien einzugreifen. Zudem wird sie in der geheimnisvollen Prophezeiung eines Hexenvolkes erwähnt, das ebenfalls im Norden beheimatet ist. Diverse Verwicklungen führen Lyra schließlich auf eine große Reise Richtung Lappland, auf der sie sich mutig durch viele spannende Abenteuer und aufregende Begegnungen kämpft.

Der Reiz dieser Geschichte liegt aus meiner persönlichen Sicht eindeutig in der atmosphärisch dichten Beschreibung der Orte, an welche es die junge Heldin im Laufe der Ereignisse verschlägt. Für die Schilderung der genauen Umstände, unter denen sie lebt, gefangen gehalten wird oder reist wird in der Hörbuchversion soviel Zeit aufgewendet, daß man als Zuhörer manchmal sogar etwas ungeduldig wird, denn an Details und umständlichen sprachlichen Wendungen wird dabei nicht gespart. Ebenso genau verfährt der Autor mit der Beschreibung von Personen oder Volksgruppen wie beispielsweise den zigeunerartigen Gyptern und deren spezifischer gesellschaftlicher Bedeutung. Die Hauptpersonen der Geschichte lernen einander in langen, oft alltäglichen und ruhigen Dialogen kennen, wobei, wie bei jedem guten Plot, scheinbar nebensächliche Bemerkungen später oft eine wichtige Bedeutung gewinnen. Es ist gerade diese getragene, fließende Erzählweise, welche den Zuhörer oder Leser nach und nach ohne Hetze in die merkwürdige Welt Pullmans eintauchen läßt.

Obwohl diese Kritik nicht unbedingt ein Vergleich zwischen dem Hörbuch und dem Film sein soll, komme ich nicht umhin, festzustellen, daß bei der Verfilmung gerade jene Eigenarten der Geschichte auf der Strecke bleiben, die sie einzigartig machen. Das Problem dabei ist, wie so oft, daß auf der Leinwand hauptsächlich jene Anteile der Story aufgegriffen werden, die voller Action und einzelner, herausragender Ereignisse sind. So wechselt Lyra gleich zu Beginn extrem schnell vom College in die Wohnung und das Leben von Mrs. Coulter, wo sie viel plötzlicher, als es in der geschriebenen Vorlage der Fall ist, mit der geheimnisvollen Frau in Konflikt gerät.

Anschließend wird das Mädchen auf ihrer Flucht durch das nächtliche London beinahe sofort von den Gyptern aufgegriffen, nachdem sie gerade mal drei Gassen durchquert hat. Kaum befindet sich Lyra in der Obhut des ziehenden Volkes, da ist sie im Film schon nach kurzer Absprache auf einem Schiff unterwegs in Richtung Norden.

Selbst der geneigte Zuschauer hat dabei zwangsläufig das Gefühl, den Kontakt zur Geschichte zu verlieren. Zwar wird sehr grob ein halbwegs nachvollziehbarer roter Faden zwischen den einzelnen Bestandteilen der Handlung gehalten, doch jede Atmosphäre geht dabei rettungslos verloren. Das Gefühl des Mitreisens, welches Pullman im Buch durch die Schilderung des wochenlangen Zusammenlebens von Lyra mit dem Volk der Gypter auf ihren Booten und deren Ankunft in ihrer ureigenen, wunderschön geschilderten Umgebung herrenloser Sümpfe so geschickt aufbaut, habe ich in der Verfilmung schmerzlich vermißt. Ebenso gefehlt haben mir auch die bereits erwähnten vielen Dialoge, in denen Lyra nicht nur stückweise immer neue Informationen über ihre eigene Herkunft erhält, sondern auch richtige Beziehungen zu den Menschen in ihrem Umfeld aufbaut. An diesem Punkt ist es wichtig zu erwähnen, daß der Film gerade, was die Interaktion der einzelnen Charaktere angeht, durchaus Potential gehabt hätte. Meiner Meinung nach ist Nicole Kidman die Rolle der unnatürlich schönen und ebenso kalten Mrs. Coulter wie auf den Leib geschrieben. Sie verfügt über das nötige, schauspielerische Können, um den Widerspruch zwischen einem perfekten, ansprechenden Äußeren und einer grausamen, zynischen Persönlichkeit angemessen darzustellen. Wie die gespannte Saite eines sensiblen Instruments schaltet sie bei der kleinsten Störung ihrer Pläne blitzschnell von geheuchelter Freundlichkeit auf gefährliche Ungeduld um. Der Film läßt Kidman bei der Ausgestaltung ihrer Rolle wenigstens etwas Spielraum, doch bedauerlicherweise scheint sie bei den gemeinsamen Szenen mit der Darstellerin der Lyra meistens ins Leere zu agieren. Es kommt keine greifbare Spannung zwischen den beiden auf, man spielt nicht miteinander, sondern aneinander vorbei. Das kleine Mädchen wurde offenbar hauptsächlich aufgrund seiner äußeren Erscheinung gecastet, denn es kann den komplexen Charakter aus Pullmans Geschichte nicht zum Leben erwecken.

Für den Verlauf des gesamten Abenteuers spielt das Wesen der kleinen Heldin eigentlich schon eine wichtige Rolle, wobei es in erster Linie ihre unangenehmen Eigenschaften sind, welche die Handlung vorantreiben. Sie ist im Grunde eine Einzelkämpferin mit sehr vorlautem Mundwerk und einer extrem impulsiven Handlungsweise. Es ist jedoch auch ihrer ausgeprägten Abneigung gegenüber jeglicher Autorität zu verdanken, daß sie sich beispielsweise der Überzeugungskraft von Mrs. Coulter widersetzen kann und schließlich auf jede Sicherheit verzichtet, um ihrem Einflußbereich zu entfliehen. Ebenso verhält sich Lyra den Gyptern gegenüber, als sie ihre Fähigkeit, das Aletheometer zu lesen, zielstrebig einsetzt, um die Erwachsenen zu zwingen, sie mit auf die Reise nach Norden zu nehmen. Dies sind nur zwei Beispielsituationen, in denen Lyras Wesen dazu beiträgt, den Ereignissen eine bestimmte Wendung zu geben. Obwohl das Mädchen im Film durchaus als Wildfang und neugierige Person dargestellt wird, erscheint sie doch auf der anderen Seite als viel zu glatt und fügsam. Ihr hübsches Gesicht wird allzu sehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, wodurch ihr widerborstiges Inneres kaum zur Geltung kommt.

Der Charakter der Lyra verkommt dabei zu einem sehr durchschnittlichen Standard, zumal es meines Erachtens der Darstellerin weder mimisch noch durch Gestik oder Sprache gelingt, den Zuschauer emotional anzusprechen. Es wird zu viel Wert darauf gelegt, sie zur Sympathieträgerin zu machen, was bedauerlich ist, denn die Schilderung Pullmans zeichnet ein ganz anderes Bild von dem Kind. Darin erscheint sie als ein Mensch mit Brüchen, der durch sein forderndes, penetrantes Verhalten oft eher abstoßend wirkt. Dennoch erweisen sich diese Züge als ausgesprochen praktisch, wenn es um das Überleben geht, worauf sich Lyra durch ihren Mut und ihre außergewöhnliche Fähigkeit, das Blaue vom Himmel herunter zu lügen, hervorragend versteht.

Im Film hingegen, wird sie die meiste Zeit über vielmehr als Spielball der Kräfte dargestellt, der mehr durch Schicksal als durch eigenes Zutun gelenkt wird. Ein Kernkonflikt der Geschichte ist der Kampf um den freien Willen, den Lyra immer wieder durch Wort und Tat verkörpern sollte. Leider bleibt davon in der Verfilmung des "Goldenen Kompass" nur wenig übrig, obwohl für mich gerade darin der größte Vorzug dieser Gestalt liegt. Endlich hat ein Autor einmal den Mut, ein Kind mit allen Konsequenzen wie eine realistische Persönlichkeit mit einigermaßen schwer erträglichen Tendenzen aufzubauen und schon wird dieser geniale Zug im Brei einer Mainstreamproduktion erstickt.

Ein zusätzliches Ärgernis für den Zuschauer besteht in dem schlampig inszenierten Zusammenspiel zwischen reellen und animierten Wesen. Im Grunde ist die erste Begegnung Lyras mit dem Eisbär Jorek Bernusson ein spannendes Highlight der Erzählung, bei der an Panik grenzende Angst die Gefühle des Mädchens dominiert, auch wenn es ihr gelingt, äußerlich ruhig zu bleiben.

Abgesehen davon, daß die Darstellerin im Film bei diesem ersten Zusammentreffen wirklich sehr gleichmütig und einseitig fordernd wirkt, kommt weder an diesem Punkt noch in späteren Gesprächen überhaupt ein richtiger Augenkontakt zwischen den beiden zustande. Es ist wirklich lachhaft, wie da ein kleines Mädchen mit einer Kreatur kommunizieren soll, die ein wildes, unberechenbares Raubtier in Personalunion mit einer Art Kriegsgott ist und dabei ständig mit wandernden Augenbewegungen quasi an ihm vorbeiredet. Gerade die gepanzerten Eisbären hätten zu den beeindruckendsten Bestandteilen der visuellen Umsetzung des Goldenen Kompasses gehören sollen. Statt dessen reduziert sich ihre Wirkung leider aufgrund der schlecht abgestimmten Verbindung zu den menschlichen Protagonisten auf die einer hübschen Topfpflanze.

Da nützt es leider wenig, daß die optische Umsetzung der Umgebung an vielen Stellen durchaus eindrucksvoll gelungen ist. Sowohl einige Räume in Jordan College als auch die Wohnung von Mrs. Coulter wurden meiner Meinung nach so umgesetzt, wie man sie sich beim Lesen oder Hören der Geschichte vorstellt. Dasselbe gilt für den Hafenort Trollesund, der auf liebevolle Weise lebendig gemacht wurde. Die starken Kontraste in Pullmans Welt, wo technisch hoch entwickelte Geräte und Fortbewegungsmittel wie zum Beispiel das Zeppelin der Oblationsbehörde sowie selbsttätig fahrende Kutschen direkt neben den rauen, düsteren Lebensumständen der normalen Bevölkerung auf den Straßen Londons, den Schiffen der Gypter oder im hohen Norden existieren, sind für sich genommen schon sehr reizvoll. Andererseits stellt es eine enorme, künstlerische Herausforderung dar, jeden dieser Bestandteile angemessen darzustellen, ohne ein optisches Chaos zu verursachen, zumal in diesem Falle auch noch der Aspekt der Magie hinzukommt. Bedauerlicherweise haben die Macher des Films solche Schwierigkeiten gelöst, indem sie alle Widersprüche und Gegensätzlichkeiten dieser Art von Realität unter der recht glatten Oberfläche von Computeranimationen zusammenfaßten.

Deswegen fehlt es den Schauplätzen trotz einiger recht vielversprechender Ansätze meistens doch auf den zweiten Blick erheblich an Eigenleben. Als Zuschauer sieht man zwar einige bombastische Orte von künstlicher Schönheit, doch gleichzeitig fällt es schwer, sich vorzustellen, wie sie sich anfühlen könnten. Auch in diesem Punkt kann also kein wirklicher Kontakt zwischen dem Kinobesucher und dem Filmabenteuer hergestellt werden. Es wäre sicher ratsam gewesen, häufiger echte Bühnenbilder oder Drehorte zu bemühen, da die Überdosis an Animationen dazu führt, daß man sich nach der Vorstellung ernsthaft fragt, welchen Film man eigentlich genau gesehen hat. Die mit Computerbildern und Special Effekts verstopften Schnellproduktionen der letzten Zeit gleichen einander inzwischen so sehr, daß selbst ein guter Stoff keine Chance mehr hat, sich auf der Leinwand durchzusetzen. Dabei hätte man allein aus der brillanten Besetzung (Daniel Craig in der Rolle des Lord Asriel und Eva Green als Hexe Seraphina Peckalard, sowie Ian McKellen und Christopher Lee) sehr viel mehr herausholen können, denn jeder dieser Schauspieler eignet sich hervorragend als Identifikationsfigur, Bösewicht oder Held. Ihrer Fähigkeit, einer Szene nur durch überzeugendes Spiel auch ohne ein spektakuläres Umfeld Leben einzuhauchen, wird in diesem Film einfach überhaupt keine Rechnung getragen. Außer Kidman taucht keiner von ihnen mehr als wenige Sekunden am Stück auf, weshalb ich mich letzten Endes enttäuscht fragen mußte, warum sie überhaupt engagiert wurden.

Was Pullmans Geschichte für Kinder interessant macht, sind gerade die komplexen und teilweise geheimnisvollen Charaktere, mit denen Lyra es zu tun bekommt. Deren Verhalten wurde vom Autor nicht umsonst sorgfältig ausgefeilt, denn das Herzstück des ganzen Abenteuers bilden bei aller Andersartigkeit der geschilderten Welt doch die Motive der beteiligten Personen. Indem dieser Anteil des Fantasyabenteuers beschnitten und fast vollständig durch plakative Actionszenen ersetzt wird, verschwinden genau jene Elemente der Erzählung, die eigentlich relevant dafür sind, ob man als Zuschauer Anteil am Schicksal der Leinwandhelden nimmt. Ob jemand lebt oder stirbt und am Ende seine Ziele erreicht, bleibt nur dann interessant, wenn der jeweilige Mensch Anlaß bietet, ihn zu mögen oder zu hassen. Besonders Kinder reagieren sensibel auf solche Faktoren, wobei es nicht einmal eine entscheidende Rolle spielt, ob sie auf den ersten Blick alle Aspekte einer Situation verstehen oder nicht. Filme, die ihnen Anregungen zum Nachdenken bieten, bleiben oft sogar länger in der Erinnerung haften als bunte Spektakel, die nur der flachen Unterhaltung dienen. Meiner Meinung nach hat der Regisseur den Stoff Pullmans deswegen nicht angemessen aufgearbeitet, weil sich seine Komplexität einfach nicht in knappen zwei Stunden auf die Leinwand pressen läßt. Statt sich mit Hilfe des verfügbaren schauspielerischen Potentials mehr oder weniger gut der Herausforderung zu stellen, beleidigt der Film die Denkfähigkeit des Publikums.

Schließlich bleibt noch die Frage, weshalb an bestimmten Stellen entscheidende Details aus der literarischen Vorlage sehr zu Ungunsten der Glaubwürdigkeit des Films einfach weggelassen werden. Warum um alles in der Welt wurde die ganze Reisegesellschaft um Lyra zu Fuß in die Weiten Lapplands geschickt, wo doch jedes Kind weiß, daß man in dieser Gegend im Winter am besten und schnellsten mit dem Schlitten reist? Gerade Autoren von Fantasy- und Abenteuerromanen wissen, daß es besonders bei der Beschreibung eines sehr vielfältigen, teilweise fremdartigen Umfeldes darauf ankommt, die Schilderung realistischer Anteile der Geschichte, wie zum Beispiel dem Reisen über weite Strecken, möglichst überzeugend und bodenständig zu gestalten. Auf diese Weise hat der Leser oder in diesem Fall der Zuschauer eher das Gefühl, der ganzen Fantasterei läge ein nachvollziehbares Gerüst zu Grunde. So gesehen ist es einfach schade, daß die Reiseszenen in Schnee und Eis im Film ziemlich improvisiert wirken, zumal man als Kinobesucher weder die Kälte des Windes, noch das Frieren an den Fingern oder sonst etwas spürt, was den Helden auf ihrem Weg widerfährt. Jede zweitklassige Verfilmung eines "Jack London" Romans vermittelt diese Empfindungen wesentlich besser als die teure Umsetzung des "Goldenen Kompass". Wahrscheinlich hatten die Produzenten nach Abzug der Animationskosten und Bezahlung der hochkarätigen Schauspieler einfach kein Geld mehr für ein paar Schlitten und Zugtiere übrig.

Alles in allem bleibt dem Zuschauer nach Ansehen des Filmes leider nur ein schaler Nachgeschmack der Enttäuschung übrig, die rasante Abfolge bunter Bilder vermag nicht über den Augenblick hinaus zu beschäftigen. Empfehlenswerter als ein Kinobesuch ist daher vielmehr eine Investition in die Hörbücher von Pullmans "Dark Materials" oder das Lesen der Bücher. Die eigene Fantasie wird den Leser in diesem Fall mit Bildern belohnen, die weitaus lebendiger sind als jeder Film.


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Der goldene Kompass
Originaltitel:
"His Dark Materials: The Golden Compass"

Filmstart: 7. Dezember 2007
USA 2007
Regie: Chris Weitz

Darsteller: Nicole Kidman,
Dakota Blue Richards, Eva Green,
Daniel Craig, Sam Elliott, Ben Walker,
Jim Carter, Tom Courtenay


9. Januar 2008