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FILMKRITIK/002: V wie Vendetta * Ein Rachefeldzug gegen den Staat... (SB)


V wie Vendetta


Die Geschichte eines persönlichen Rachefeldzugs und einer Widerstandsbewegung im fiktiven, faschistischen Staat Großbritannien einer möglichen näheren Zukunft.



Einen Kinoabend wie diesen vergißt man nicht so schnell, den "V wie Vendetta" überschreitet von Anfang an die Grenzen bloßer Unterhaltung. Für mich wurde dies spätestens nach einer dreiviertel Stunde im Kinosaal deutlich, als das Publikum merklich ruhiger und angespannter wurde. Aus einer albernen, konsumorientierten Stimmung wurde schnell eine Situation, in der die Leute an ihrem Sessel förmlich kleben blieben, und während der gesamten Vorstellung war es wie bei dem berühmten Unfall, den keiner sehen will, von dem sich aber auch niemand mehr abwenden kann, und ich kann mich nicht erinnern, daß jemand den Raum verlassen hätte, um die Toilette zu benutzen oder Chips zu kaufen. Kein Wunder, mir erging es nicht anders, wurde man doch an diesem Abend neben glänzender Unterhaltung mit einer politischen Idee konfrontiert, die nicht leicht zu verarbeiten ist.

Mit einer vorgefaßten, eher negativen Erwartung ging ich an diesem Abend ins Kino, nachdem ich wußte, daß hier eine Comicvorlage verfilmt wurde, die in einem düsteren, faschistischen Großbritannien der Zukunft spielen sollte. Also eine Art Neuauflage von 1984 mit anderen Charakteren, coolen Waffen und reichlich Actionszenen, vielleicht noch einem hergeholten Happyend in düsterer teils computeranimierten Atmosphäre und nicht zu vergessen Natalie Portman im engen Latexanzug? So oder ähnlich waren meine Erwartungen an diesen Abend und da ich eigentlich Erholung sowie Unterhaltung angepeilt hatte, waren dies keine wirklich guten Aussichten.

Glücklicherweise sprengte dieser Film meine Erwartungen im positiven Sinne. Die Geschichte beginnt mit der versuchten Sprengung eines Gebäudes in England am 5. November des Jahres 1605, die als Teil der "Pulververschwörung" in die Geschichte einging. Ein gewisser Guy Fawkes versuchte an diesem Tag aus politischen Gründen, das britische Parlamentsgebäude sowie den Palast von Westminster in die Luft zu sprengen. Er war Aktivist einer katholischen Minderheit und wollte mit dieser Aktion König Jakob I stürzen, sowie einige politische Gefangene aus dem Tower befreien.

Der Anschlag schlug fehl, Guy Fawkes wurde festgenommen und im Jahre 1606 durch Hängen exekutiert. Dennoch überlebte seine Idee des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der Guy Fawkes Day ging als Symbol in die Geschichte ein. Dieses historische Intro macht deutlich, daß es im Folgenden um eine politische Idee geht und nicht primär um deren Träger, denn ein Mensch kann getötet werden, während seine Idee unangreifbar bleibt.

Nach dem Intro folgt die Verbindung in eine Zukunft, die von unserer Gegenwart nicht allzu weit entfernt erscheint. Eine junge Frau namens Eve, absolut überzeugend verkörpert von Natalie Portman, macht sich spät abends auf den Weg zu einer Verabredung und ignoriert dabei die bereits in Kraft getretene Ausgangssperre, welche im Großbritannien dieser Zeit verhängt wurde. Auf der Straße gerät sie in eine bedrohliche Situation, sie wird von zwei "Fingermännern" aufgegriffen, die als Handlanger der großen Staatspartei die Ausgangssperre durchsetzen. Da Eve eine hübsche Frau ist, nutzen diese Männer ihre Position natürlich aus und wollen Eve offenbar sexuell nötigen, als plötzlich ihr Retter auftaucht. Ein Mann im langen, schwarzen Mantel, mit einer Guy Fawkes Maske auf dem Gesicht streckt die Fingermänner in einem rasanten Tempo beidhändig mit rasiermesserscharfen Stilettos nieder. Anschließend erklärt er der verschreckten Eve, wer er sei, und an dieser Stelle beginnt der einzige, wirklich mißlungene Teil des Films. Denn natürlich gibt der Herr seine Identität nicht zu erkennen, dafür beginnt nun ein geschwollener Monolog, der sich aus literarischen Zitaten, wohl vornehmlich aus Shakespeares Werken, und einer unverständlichen Kette arrogant wirkender Anspielungen und Witzen zusammensetzt, die keiner versteht. Selbst, wenn man beim Zuschauer eine gewisse, überdurschnittliche Bildung voraussetzt, denke ich doch, daß die meisten allein aufgrund des Tempos dem Gesagten kaum folgen konnten. Jedenfalls ist dies ein unglücklicher Start ins Geschehen, der meine Geduld doch strapaziert hat. Später wiederholt sich diese merkwürdige Sprechshow noch ein paarmal, aber glücklicherweise in immer abgeschwächterer Form, so daß sie nicht mehr so auffällig nervt.

Der Mann im schwarzen Mantel bleibt unter dem Decknamen "V" zunächst ein Unbekannter. Er nimmt Eve noch schnell zu seiner ersten Gebäudesprengung, bei der er die umliegenden Straßen mit lauter Musik beschallt und den alten Regierungsbau mit einem abschließenden Feuerwerk in die Luft jagt. Bei diesem merkwürdigen "Konzertbesuch" entsteht eine zwiespältige Art von Vertrautheit zwischen Eve und V, denn obwohl der Mann in schwarz sie offenbar an einem intimen Moment hat teilhaben lassen, ist sie dennoch schockiert von seiner radikalen Verhaltensweise.

Das Datum dieser ersten Begegnung ist der 5. November und die Sprengung der Auftakt eines durchgeplanten Aufstandes gegen das faschistische Regime des Staates Großbritannien unter der Führung eines despotischen Premierministers. V, (der trotz der Einschränkung der schauspielerischen Möglichkeiten durch die Maske von Hugo Weaving sehr lebendig dargestellt wird), plant, am 5. November des nächsten Jahres das Parlamentsgebäude zu sprengen. In der Zwischenzeit will er unter anderem die Bevölkerung des Landes wachrütteln, sie über den Preis ihres liebgewordenen Wohlstandes aufklären und ihnen den allgemeinen Verlust der Denk- und Redefreiheit ins Bewußtsein rufen.

Zu diesem Zweck überfällt V wenig später den Einheitsfernsehsender BNT, in dem zufällig auch Eve arbeitet. Es gelingt ihm, die Polizei über seinen Verbleib zu täuschen, indem er viele Angestellte zwingt, die gleiche Maske aufzusetzen wie er selbst. Die gewonnene Zeit nutzt V, um über den Fernseher so viele Menschen wie möglich zu erreichen.

Sehr schön ist hier übrigens zu sehen, wie die Medien als Propagandamittel vom Staat eingesetzt werden. Gut gestylt, vor einem harmlosen Hintergrund ohne Fahnen und Symbole, schwört ein geschniegelter Moderator sein Publikum auf diesem Sender normalerweise allabendlich auf die Werte des neuen Großbritannien ein: Patriotismus, Gottesfürchtigkeit, Kapitalismus sowie Verachtung aller Minderheiten wie Kommunisten, Homosexuelle und Muslime. Einer Predigt ist der Auftritt sehr ähnlich, er findet aber in einer talkshowartigen Situation statt, die Normalität vermittelt und die Worte des Moderators, weichgezeichnet wie easy listening Musik, in die Köpfe der Zuschauer dringen läßt.

Jeder kritisch denkende Kinogänger kann hier Parallelen zu unserer Gegenwart erkennen, in der uns Begriffe wie "Terrorismus" und "Kolateralschäden" als Generalerklärung für Kriege, Foltergefängnisse und vorverurteilende Gesetzeserlässe zur Beschränkung der bürgerlichen Rechte auf ähnliche Art morgens, mittags und abends verkauft und eingetrichtert werden.

Denkkontrolle übers Fernsehen ist sowohl in der Filmwelt des zukünftigen Großbritannien als auch in unserer jetzigen Gesellschaft ein erprobtes Mittel zur Stabilisierung bestimmter politischer Verhältnisse.

Im Film nutzt V die Medien auf seine Art und dringt über die Bildschirme auf die Straße, in die Pubs, bis in die Wohnzimmer der Menschen vor, die er erreichen möchte. Denn auf den Fernseher ist das träge Bewußtsein des Volkes fixiert, dort kann es nicht wegschauen, im übrigen ahnen die Leute durchaus, daß sie von der Regierung belogen werden. Nachdem V eine flammende Rede für die Freiheit, denken und reden zu können, was man will, gehalten hat, ruft er alle, die seinen Standpunkt teilen, auf, in einem Jahr am 5. November vor dem Parlamentsgebäude zu erscheinen.

Von nun an zieht V viele verschiedene Fäden für seine Revolution. Unter anderem bringt er den bereits erwähnten Moderator, der gewissermaßen eine Art Propagandawerkzeug und damit für die Regierung wichtig ist, um. Natürlich ist dies ein schwerer Schlag für die Machthaber, verlieren sie doch ein langfristig aufgebautes und bekanntes Gesicht für ihre tägliche Volksbeeinflussung.

Dieser Mord ist auch ein Teil von Vs persönlichem Rachefeldzugs. Er ist zwar ein politischer Aktivist, doch zufällig sind die Drahtzieher des faschistischen Staatssystems auch seine persönlichen Feinde, mit denen er eine düstere Vergangenheit teilt. Sein politischer Feldzug ist zugleich eine Vendetta. Bereits vorher, doch nach dem Mord an dem TV Moderator besonders, kommt hier der Ermittler Finch ins Spiel, der bereits mit Hochdruck daran arbeitet, V ausfindig zu machen. Finch ist seit vielen Jahren Mitglied der Staatspartei und außerdem Teil eines kleinen Stabes von Leuten, die dem Premierminister direkt unterstellt sind und ständig Rechenschaft über ihre Erfolge und Mißerfolge ablegen müssen.

In Ahnlehnung an Filme wie 1984 erscheint der mächtigste Mann im Staate nie persönlich, sondern ausschließlich auf einer riesigen Leinwand, von der aus er überlebensgroß auf seine Untergebenen herabschaut, um sie anzubrüllen. Natürlich ist dies ebenso als eine Anspielung auf einige historische Führerfiguren wie z.B. Hitler oder Fidel Castro zu verstehen. Weil sie, wie der Premierminister im Film, ebenfalls in natura keine übermäßig beeindruckenden Gestalten waren, konnten sie in einer bestimmten medialen Optik über Fernseher, Leinwände oder auch über den Rundfunk am wirksamsten auftreten. Trotz allen Ernstes entbehrt "V wie Vendetta" nämlich nicht einer gewissen Komik und manchmal springt einem die Satire geradezu ins Gesicht. Ich empfinde diese Leichtigkeit als einen wesentlichen Bestandteil der Geschichte, denn durch sie erträgt es der Zuschauer besser, auch die schwierigen, tragischen und gewaltsamen Anteile des Films wahrzunehmen, sie schärft sozusagen den Blick fürs Detail. Ein reines Drama wie z.B. 1984 erschlägt den Geist des Konsumenten auf Dauer.

Doch, um auf den Ermittler zurückzukommen: Er ist einerseits ein guter, braver und einsichtiger Teilhaber des Staatssystems, andererseits aber auch ein anständiger Mensch mit gewissen moralischen Prinzipien. Frei nach dem Motto: "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß", war er jahrelang ein treuer Vasall der Partei. Doch im Laufe seiner Ermittlungen dringt er tiefer in die Geschichte des Staatsaufbaus und seiner Hauptakteure ein. V spielt ihm auch einige wichtige Informationen zu, und es stellt sich heraus, daß viele der Ereignisse, welche zu dem Aufbau des Staates in seiner jetzigen Form beigetragen haben, von der Regierung selbst inszeniert wurden, um einen massiven Ausbau des Militärapparates, sowie die Einführung bestimmter Gesetze rechtfertigen zu können. An dieser Stelle wird die Vergangenheit ausgeleuchtet. Massenmorde, illegale militärische Einrichtungen, Experimente an Menschen, Angriffe auf die eigene Bevölkerung mit biologischen Waffen. All diese Dinge gingen nach offizieller Lesart auf das Konto von Terroristen, religiösen Fanatikern oder anderer Staaten. Es gab Festnahmen, Prozesse, Hinrichtungen, Berichterstattungen und immer wieder Lösungen von seiten der Regierung für auftretende Probleme. Ein Krieg hier, mehr Militär dort, Medikamente für die Opfer und mehr Sicherheit für die Bevölkerung. Finch dämmert allmählich, daß all die schrecklichen Vorfälle möglicherweise Dinge waren, die seine Regierung der eigenen Bevölkerung angetan hat, um ihre Position zu stärken. Hinzu kommt, daß viele Dokumente gewisser Ereignisse und Einrichtungen nicht mehr auffindbar sind. Während der Ermittler noch Nachforschungen betreibt, wird der Zuschauer Zeuge von Vs Vergangenheit, die Teil der beschriebenen Ereignisse ist, und V bringt nach und nach Täter wie Teilhaber dieser Verbrechen um.

Doch V setzt nicht nur auf seine persönliche Vendetta. Er hat einen politischen Kampf zu führen. Neben der romantischen Annäherung an Eve hat er in ihr eine potentielle Nachfolgerin für seine Position erkannt und die Tatsache, daß ihre Eltern als Widerstandskämpfer von dem gegenwärtigen Regime verhaftet und umgebracht wurden, als Eve noch ein Kind war, prädestiniert sie geradezu dafür, seinen Kampf weiterzuführen. Doch Eves Angst um die eigene Sicherheit lähmt sie und hält sie davon ab, selbst radikal zu werden. Daher ergreift V drastische Mittel. Statt mit Eve zu sprechen, inszeniert er ihre Verhaftung, läßt sie in ein selbst gebautes Gefängnis werfen und foltert sie zudem noch, um sie zu zwingen, Vs Versteck zu verraten. Als sie all dem standhält, droht er schließlich, Eve vor ein Erschießungskommando zu stellen, wenn sie nicht kooperiert. Doch Eve ist inzwischen nicht mehr bereit, über ihre Integrität zu verhandeln und nimmt den Tod hin. Nun gibt V sich als ihr Gefängniswärter und Folterer zu erkennen und erklärt ihr, daß sie nun frei von jeder Angst sei. Man kann sich vorstellen, daß Eve selbst, nachdem sie den Nutzen der Aktion begriffen hat erstmal Abstand zu V sucht. Dennoch wird im Film an dieser Stelle erneut eine Position bezogen, indem Vs Handlungsweise nicht als die eines "Terroristen" oder Psychopathen gebrandmarkt wird. Sein Handeln und seine Motive werden relativ wertfrei und plausibel dargelegt. Der Zuschauer erhält keine Schwarz-Weiß Schablone, ihm wird das Denken nicht abgenommen. Er muß selbst bewerten, inwiefern Vs Eingriff in Eves Leben nachvollziehbar ist und ob der bösartige Teil daran zu rechtfertigen ist oder auch nicht. Man muß an dieser Stelle nicht erklären, wie brisant eine solche Fragestellung in der heutigen Zeit ist. Ist ein Film, der, wenn auch im Rahmen einer Geschichte für den politisch motivierten, notfalls auch gewaltsamen Widerstand Verständnis aufkommen läßt und einen Widerstandskämpfer nicht als "Terroristen", sondern als Menschen hinstellt, subversiv?

Ist die Tatsache, daß im Film einige Sympathieträger im Widerstand als Zeichen ihrer Geisteshaltung einen antiken Koran im Hinterzimmer haben, da der Islam in ihrem Staat als Zeichen des Terrors gilt, eine Bezugnahme auf aktuelles gesellschaftspolitisches Geschehen?

Dazu sei noch ein Kommentar zur letzten Szene im Film erlaubt, in der das Volk am Abend des 5. Novembers in Guy Fawkes Masken vor dem Parlamentsgebäude aufmarschiert. Das Militär ist angetreten und es werden "witzige" Sprüche abgelassen, die in amerikanischen Filmen immer dazu dienen, im Zuschauer Sympathie für die witzigen Soldaten aufkommen zu lassen.

Volk und Militär stehen einander also gegenüber, der Befehlshaber schaut die unbewaffneten Menschen vor sich an und sagt in sein Funkgerät: "Wir haben FEINDBERÜHRUNG". Er sagt dies im Angesicht Tausender, unbewaffneter Menschen, die sich nicht gewalttätig verhalten. Es sind Menschen aus seinem Volk, denen er eigentlich dienen sollte, doch das Militär betrachtet diese Leute als den FEIND. Mir persönlich ging diese Szene unter die Haut, denn sie bildet die Wirklichkeit ab. Ist es eine Stellungnahme von seiten der Filmemacher, daß der Schießbefehl nicht kommt und sich der Widerstand unbewaffneter Menschen schließlich gegen ein bewaffnetes Regime durchsetzt? Beinhaltet der Film neben grandioser, optischer Inszenierung einer Comicvorlage nicht im wesentlichen genügend Bezüge zu unserer politischen Realität, um den Zuschauer nachdenklich zu machen?

Dieser Film bietet nebenbei bemerkt tolle Actionszenen, er wurde nicht umsonst auf Basis eines Drehbuches von den Wachowski Brüdern gedreht und von ihnen produziert, sowie von James McTeige inszeniert und von Joel Silverman mit Effekten versorgt. Diese Leuten waren alle unter anderem bereits an der optisch sehr anspruchsvollen Matrix Trilogie beteiligt. Eine Lovestory bildet das Kernstück der Geschichte und die Mantel und Degen Romantik kommt bei dem stilettoschwingenden V auch nicht zu kurz. Die vorherrschenden Farben des Widerstands, Schwarz, Weiß und Rot sind ein ästhetischer Volltreffer. Wie die Umsetzung der Comicvorlage von Alan Moore und David Lloyd gelungen ist, kann ich nicht beurteilen, denn den Comic kenne ich nicht, doch der Film bietet fürs Auge, fürs Herz und nicht zuletzt für den Verstand genügend Gründe, sich mal wieder einen Abend lang im Kino aufzuhalten.


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V wie Vendetta
Filmstart: 16.3.2006
Regie: James McTeigue
Darsteller: Natalie Portman, Hugo Weaving, John Hurt


Erstveröffentlichung am 18. September 2006


15. November 2007