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SPRACHE/526: Multisensorische Verknüpfungen als Vorstufe für den Spracherwerb (idw)


Schwedischer Forschungsrat - 17.03.2008

Multisensorische Verknüpfungen - Bahnbrechende Vorstufe für den Begriffs- und Worterwerb im frühen Kindesalter


Wie eine neue Dissertation über Phonetik am Institut für Linguistik der Universität Stockholm zeigt, können Babys Begriffe auf der Grundlage anfänglich unbestimmter Assoziationen von Sinneseindrücken lernen. Durch Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken gewonnene Informationen werden miteinander verknüpft und zu Begriffskonzepten kombiniert.

Die Tatsache, dass Kinder neue Worte und Konzepte schnell und scheinbar mühelos lernen, hat eine langjährige Kontroverse darüber ausgelöst, wie sie dies bewerkstelligen. So wird unter anderem angenommen, dass Menschen bereits mit einem "Sprachgen" geboren werden.

Für ihre Dissertation über Phonetik untersuchte Eeva Klintfors von der Universität Stockholm bisher mehr als dreihundert schwedische Säuglinge und Kleinkinder im Alter von drei bis zwanzig Monaten. Die Kinder wurden vor Bildschirme gesetzt, die animierte Bilder [z.B. von Puppen, Anm. d. Schattenblick-Red.] zeigten, während ihnen gleichzeitig in kurze Sätze eingebettete Worte vorgespielt wurden. Da Babys in diesem Alter noch nicht in der Lage sind, eine Wort-Objekt Beziehung als solche verbal kenntlich zu machen, wurden ihre Augenbewegungen, die sich auf die Gegenstände richteten, mit einer Infrarotkamera aufgezeichnet.

"Die Studie zeigt, dass Babys schon nach kurzer Präsentation Form, Farbe und andere Charakteristika der Gegenstände unterscheiden können. Es ist beeindruckend, wie die Kinder ihren Blick auf den bezeichneten Gegenstand richten, obwohl wir in den Experimenten eine Nonsens-Sprache verwendeten", erläutert Eeva Klintfors, die eine Kunstsprache namens "Swenglish" erschaffen hat. Worte und Sätze dieser Sprache haben die gleiche Struktur wie im Schwedischen, die Wörter jedoch keine Bedeutung.

Der frühe Spracherwerb findet durch aktiven sozialen Austausch mit anderen statt. Typisch dafür ist, dass Eltern, andere Erwachsene und sogar ältere Kinder Worte wiederholen und die gleichen Gegenstände immer wieder und wieder zeigen. Das hilft dem Kleinkind, seine sensorischen Eindrücke zu kombinieren. Eine der Untersuchungen zeigt insbesondere, wie wichtig Wiederholungen und andere charakteristische Eigenheiten der an das Kind adressierten Sprache für die Fähigkeit sind, Laute mit Bedeutungen verknüpfen zu können.

"Aus der Erwachsenenperspektive machen Babys merkwürdige Sachen. Meine vier Jahre alte Tochter hatte eine Phase, in der sie Verben fehlerfrei flektierte, z.B. "go - went" ["gehen - ging" Anm. d. Schattenblick Red.]. Nun hat sie aber damit aufgehört und sagt stattdessen "go - goed". Ich bin aber in der glücklichen Lage zu wissen, dass mehrfache Kehrtwendungen beim Lernen (von fehlerfrei über fehlerhaft zurück zur richtigen Form) normal sind", meint Eeva Klintfors.

Dass die Sichtweise der Erwachsenen nicht immer zutreffend ist, verdeutlicht eine weitere Studie aus ihrer Dissertation: Kleinkinder kombinierten die Sinneseindrücke, die am stärksten hervortraten. Wenn ein Laut abgespielt wurde, konzentrierten sie ihren Blick auf die Gesichter, die die markantesten Mundbewegungen zeigten. Kinder stellen oft falsche Verknüpfungen zwischen Worten und Gegenständen her, was aber nicht auf ein Problem hindeuten muss. Immer offen für neue Anregungen, wechseln sie ohne weiteres ihre Strategien.

Anpassungsfähigkeit scheint für die Aneignung von Begriffen und Worten sehr wichtig zu sein. Ähnliche Tendenzen können wir auch bei anderen Säugetieren beobachten wie bei den von unseren amerikanischen Kollegen untersuchten Wüstenspringmäusen. Diese können aufgrund einer im Laufe der Evolution entwickelten Überlebensstrategie agieren, indem sie bestimmte Laute mit gefährlichen Ereignissen in Verbindung bringen", führt Eeva Klintfors aus.

In einer vielversprechenden Folgeuntersuchtung der Dissertation im Rahmen eines EU-Projekts werden diese Erkenntnisse auf einen humanoiden Roboter übertragen. Da der Roboter in der Lage ist, sich mit Hilfe der genannten Methode Worte anzueignen, darf schon jetzt gemutmaßt werden, dass ein "Sprachgen" keine Grundvoraussetzung für den Spracherwerb ist.


Titel der Dissertation:
Emergence of words: Multisensory precursors of sound-meaning associations in infancy

Die Dissertation ist als pdf-Download zu finden unter:
http://www.diva-portal.org/su/theses/abstract.xsql?dbid=7371

Weitere Informationen:
Eeva Klintfors, Department of Linguistics, Stockholm University
Telefon: + 46 (0)70-716 95 04, + 46 (0)8-16 19 32
E-mail: eevak@ling.su.se

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution732

[Übersetzung: Redaktion Schattenblick]


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Originalfassung der Pressemitteilung:

Multisensory associations - a powerful precursor of concept and word acquisition in infancy

In a new dissertation in phonetics from the Department of Linguistics, Stockholm University it is shown that infants may learn concepts based on initially vague associations between sensory information. Information through vision, hearing, touch, smell and taste is associated to form such concepts.

The fact that children learn new words and concepts fast and seemingly without effort has lead to a long controversy on how they succeed in this task. For example, it has been suggested that humans are born with a "language gene". In her dissertation in phonetics, Eeva Klintfors, the Department of Linguistics, Stockholm University, has studied over three hundred 3- to 20-month-old Swedish infants. The children were exposed to animated images displayed on a screen while they heard words embedded in phrases. Since infants cannot label word-object connections at this age, an infrared camera recorded their eye movements directed towards the objects.

"The dissertation studies show that infants can learn the shape, color and other characteristics of objects after a very short presentation only. It is fascinating to see how infants direct their gaze towards the requested object despite the fact that we used a nonsense language in the experiments", says Eeva Klintfors, who has created an artificial language called "Swenglish". The words and phrases have the same structure as in Swedish, but the semantic content of the words is eliminated.

Early language acquisition takes place in close interaction with others, and it is typical that parents, other adults, and even older children repeat words and show the same object again and again - which helps the infant to combine these sensory impressions. One of the studies in the dissertation shows especially the importance of repetitions and other characteristics typical for child-directed-speech for the ability to build sound-meaning associations.

"From an adult's perspective infants do strange things. My 4-year-old daughter had a period when she correctly inflected verbs, for example "go-went". But now she has stopped that and says instead "go-goed". But I am in the lucky position to know that this kind of U-shaped learning (from correct via incorrect back to the correct form) is common", says Eeva Klintfors.

That the adult perspective may be inappropriate is shown in another study in Eeva Klintfors' dissertation: infants combined sensory impressions based on whatever was most salient. When a sound was played the children's gaze concentrated at images of the most prominent mouth movements. Children make often wrong associations between words and objects, but this does not have to be a problem. They also easily change strategy, always open for new suggestions.

"Flexibility seems to be very important for acquisition of concepts and words. We have observed similar tendencies in other mammals such as gerbils (desert rats) studied by our American colleagues. Gerbils may act based on an evolutionary ability that ensured survival when combining sounds with dangerous events", says Eeva Klintfors.

An exciting extension of this dissertation within an EU project implements these findings in a humanoid robot. As the robot can acquire words by the above means, it can already be speculated that a "language gene" is not a prerequisite of word-learning.


Dissertation title:
Emergence of words: Multisensory precursors of sound-meaning associations in infancy

The dissertation may be downloaded as pdf on
http://www.diva-portal.org/su/theses/abstract.xsql?dbid=7371

More information
Eeva Klintfors, Department of Linguistics, Stockholm University
phone +46 (0)70-716 95 04, +46 (0)8-16 19 32
e-mail eevak@ling.su.se


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Schwedischer Forschungsrat - The Swedish Research Council,
Maria Sandqvist, Stockholm University, 17.03.2008
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2008