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SPRACHE/489: Japaner begreifen ihre Sprache als einzigartig (JOGU - Uni Mainz)


JOGU Nr. 201, Juli 2007
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

"Japaner begreifen ihre Sprache als einzigartig"


Gehört das Japanische zu den transeurasiatischen Sprachen und hat damit einen gemeinsamen Ursprung mit den Türksprachen, dem Mongolischen, Tungusischen und Koreanischen? Seit fast 10 Jahren widmet sich die 35-jährige Belgierin Dr. Martine Robbeets dieser Frage, seit gut einem Jahr nun in Mainz. Als ein weltbekanntes Zentrum für Türkologie bietet das Seminar für Orientkunde der Uni Mainz beste Voraussetzung für die Humboldt-Stipendiatin. Nach zwei Jahren in Tokio untersucht Robbeets hier unter anderem die mehr als 50 Türksprachen. Ihr Ziel ist es, eine gemeinsame verbale Morphologie der transeurasiatischen Sprachen zu finden und damit Licht ins Dunkel der japanischen Sprache zu bringen.


JOGU: Frau Dr. Robbeets, in Ihrem Lebenslauf habe ich gelesen, dass Sie zuerst zwei Jahre Medizin studiert haben.

ROBBEETS: Ja stimmt, ich dachte nach dem Abitur, dass ich nur zwei Möglichkeiten hätte, Medizin oder Ingenieurwesen. Und da lag mir Medizin doch mehr.

JOGU: Wie kam es dann zum Umschwung auf Sprachwissenschaften?

Robbeets: Ich war erst 17 Jahre, als ich anfing zu studieren. Das war zu früh um zu wissen, was ich wirklich machen wollte.

JOGU: Und Sie hatten schon immer eine Affinität zu Japan?

ROBBEETS: Die Wahl fiel auf Japan, weil ich damals im Laden meiner Mutter arbeitete. Sie verkauft Brügger Spitzen und die internationale Kundschaft bestand zu 80 Prozent aus Japanern. Es hat mich sehr fasziniert, wie sie ihre Kreditkarten unterschrieben und ihre Sprache war so völlig anders, aber doch sehr strukturiert. Ich habe dann etwas Japanisch gelernt und schließlich beschlossen, die Sprache zu studieren.

JOGU: Wann tauchte dann die Frage nach der Herkunft des Japanischen zum ersten Mal auf?

ROBBEETS: Schon zu Beginn des Studiums in Leuven fragte ich mich, woher das Japanische kommt beziehungsweise ob es mit anderen Sprachen verwandt ist. Wenn man beispielsweise Deutsch studiert, bekommt man sofort einen Eindruck darüber durch Vorlesungen und Seminare zur vergleichenden Sprachwissenschaft. Das gibt es beim Japanologie-Studium nicht.

JOGU: Interessant.

ROBBEETS: Ja, ich habe immer gefragt, woher das Japanische kommt und nie eine Antwort erhalten. Das hat mich so fasziniert, dass ich die Lösung finden wollte. Leider konnte ich aber in Belgien keine vergleichende Sprachwissenschaft studieren, da es dort keine echten Linguisten für Japanisch gibt. So ging ich nach Beendigung des Japanologie-Studiums mit einem Erasmus-Programm ins niederländische Leiden und habe Koreanistik studiert. Am dortigen Fachbereich für Vergleichende Sprachwissenschaften begann dann auch meine Forscherkarriere.

JOGU: Dort haben Sie auch promoviert?

ROBBEETS: Ja, ich hatte mit Prof. Dr. Frederik Kortlandt einen hervorragenden Betreuer. Er ist zwar kein Japanologe, aber ein ausgezeichneter Kenner der indoeuropäischen Sprachen. Mich hat begeistert, wie die Sprachen zusammenhängen und so habe ich mit den etablierten Methoden versucht, auch die Herkunft des Japanischen zu ergründen.

JOGU: Man weiß das also auch nicht ansatzweise?

ROBBEETS: Es handelt sich hier um eine der meistdiskutierten Fragen unter Linguisten mit einer Forschungsgeschichte von fast 200 Jahren. Die Frage nach der Herkunft des Japanischen ist der "hot spot" der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaften weltweit. Keine Sprache der Welt ist auf der Suche nach ihrer Herkunft mit so vielen anderen Sprachen verglichen worden. Es gibt einleuchtende Hypothesen und solche die weniger plausibel sind. In der Vergangenheit hat man meist die Theorie favorisiert, dass das Japanische zur transeurasiatischen Sprachfamilie gehört.

JOGU: Und warum?

ROBBEETS: Weil die interdisziplinäre Forschung einen plausiblen Kontext dafür bietet. Während meiner Promotion habe ich archäologische, genetische und anthropologische Forschungsergebnisse studiert. Dabei kam heraus, dass etwa 1000 v. Chr. die Reis-Agrikultur vom Festland via Korea nach Japan kam. Genetische Untersuchungen zeigen, dass das Erbgut der japanischen Bevölkerung im Norden und Süden südostasiatisch ist, während in Zentraljapan nordostasiatische Gene vorherrschen. Schließlich sprechen auch anthropologische Funde dafür, dass es zirka 1000 Jahre vor Christus Einwanderungswellen nach Japan gegeben hat. Damit gibt es einen interdisziplinären Kontext, der eine Verwandtschaft von Japanisch zu den transeurasiatischen Sprachen plausibel macht. Darauf begründet sich meine transeurasiatische Hypothese.

JOGU: ... die Sie jetzt mit weiteren Fakten unterstützen wollen?

ROBBEETS: Ja, die neuesten Erkenntnisse der Archäologie, der Genetik und der physischen Anthropologie bilden einen Rahmen für die These des kontinentalen Ursprungs des Japanischen. Aber eine linguistische Hypothese können wir nur mit rein linguistischen Mitteln überprüfen; wir müssen uns also an die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft wenden.

JOGU: Welche Erkenntnisse haben Sie bereits gewonnen?

ROBBEETS: Für meine Dissertation habe ich Etymologien der vorhandenen Literatur evaluiert, das heißt eine Art etymologischen Index des Japanischen erstellt. Etwa 80 Prozent der publizierten Etymologien zu mehr als 2000 japanischen Wörtern waren jedoch nicht überzeugend, so dass letztlich 360 Etymologien übrig bleiben. Diese 36O Wort-Entsprechungen zwischen Japanisch und den anderen transeurasiatischen Sprachen könnten aber auch zufällig sein. Um das zu testen, brauchen wir regelmäßige und systematische Lautkorrespondenzen.

JOGU: ... nach denen Sie jetzt suchen?

ROBBEETS: Nein, die habe ich bereits gefunden. So korrespondieren zum Beispiel der erste Konsonant, der mediale Konsonant und der mediale Vokal jeder Etymologie regelmäßig. Die Wort-Entsprechungen legen eine genetische Verwandtschaft zwischen dem Japanischen und den transeurasiatischen Sprachen nahe. Aber es hapert an morphologischen Beweisen, denn lexikalische Übereinstimmungen könnten auch auf Entlehnungen zurückzuführen sein.

JOGU: Entlehnungen?

ROBBEETS: Damit sind die zahlreichen Lehnwörter, oft Substantive, gemeint, die aus anderen Sprachen übernommen wurden, zum Beispiel aus dem Chinesischen.

JOGU: Genau, Chinesisch. Warum spielt eigentlich die meistgesprochene Sprache der Erde, das Mandarin-Chinesisch (867 Mio.), bei Ihrer Forschung keine Rolle? Schließlich grenzt China direkt an Japan.

ROBBEETS: Es ist bekannt, dass viele japanische Wörter aus dem Chinesischen entlehnt sind. Das deutet nicht auf einen gemeinsamen Ursprung der Sprachen hin. Entlehnungen sind unidirektional und haben sprachwissenschaftlich einen ganz anderen Stellenwert als verwandte Wörter und Morpheme. Solche morphologischen Übereinstimmungen versuche ich jetzt im Rahmen des Humboldt-Stipendiums zu finden, denn sie sind für eine Sprachverwandtschaft aussagekräftig.

JOGU: Dann reisen Sie auch viel in diese Länder?

ROBBEETS: Nein, nur manchmal. Feldforschung ist für die historisch vergleichende Sprachforschung nicht das Wichtigste.

JOGU: Wie viele Sprachen untersuchen Sie eigentlich insgesamt? Allein zu den Türksprachen gehören ja 50 verschiedene Sprachen.

ROBBEETS: Stimmt, und das ist auch die größte Gruppe, Dann gibt es 15 mongolische Sprachen, zehn tungusische Sprachen, die allerdings mit insgesamt 100.000 Sprechern alle sehr klein sind sowie das Koreanische und das Japanische.

JOGU: Somit untersuchen Sie 77 Sprachen. Ganz schön viel und weltweit auch bedeutend. Allein Japanisch (120 Mio.), Koreanisch (70 Mio.) und Türkisch (60 Mio.) wird von 250 Millionen Menschen gesprochen.

ROBBEETS: Ja, und es ist ein riesiges Gebiet vom Pazifik bis zum Schwarzen Meer. Daher verstehe ich auch nicht, dass sich nur so wenige Wissenschaftler mit der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft der transeurasiatischen Sprachen beschäftigen - ich kenne meine Kollegen fast alle.

JOGU: Sind darunter auch viele Japaner?

ROBBEETS: Nein, es gab einen Japaner, der in den 1990er Jahren gestorben ist und heute gibt es noch einen japanischen Forscher, Prof. Dr. Yoshizo Itabashi von der Kyushu Universität, Fukuoka. Die meisten meiner Kollegen sind Russen und einige Amerikaner.

JOGU: Komisch, wie kommt es denn, dass sich kein Japaner mit der Historie der eigenen Sprache beschäftigen möchte?

ROBBEETS: Ja, das ist seltsam. Während meines zweijährigen Tokio-Aufenthaltes hatte ich auch oft das Gefühl, dass 120 Millionen Meinungen der meinigen gegenüber stehen. Man stand meiner Arbeit sehr skeptisch gegenüber und bei meinen Gastvorlesungen spürte ich eine große Voreingenommenheit; viele glaubten nicht, dass das Japanische überhaupt mit anderen Sprachen verwandt sein könnte.

JOGU: Und wie erklären Sie sich das?

ROBBEETS: Es hängt wohl mit einem ideologischen oder emotionalen Problem zusammen. In Japan gibt es einen starken Mythos was Einzigartigkeit betrifft. Japaner begreifen sich und ihre Sprache als einzigartig. Sie machen sich gar nicht die Mühe zu schauen, woher das Japanische stammt. Mittlerweile kann man die Einwanderung nach Japan nachweisen und es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Sprecher des Japanischen nicht immer auf den Japanischen Inseln gelebt haben. Diese mit archäologischen und genetischen Daten belegbare Tatsache steht jedoch nicht in den japanischen Schulbüchern, genauso wenig wie die japanischen Schreckenstaten des Krieges.

JOGU: Dann kann man nur hoffen, dass Ihre Forschung weiterhin erfolgreich verläuft und dazu beiträgt, das zu ändern. Wie viele Sprachen sprechen Sie eigentlich?

ROBBEETS: Ich glaube neun: Niederländisch, Französisch, Deutsch, Englisch, Türkisch, Mongolisch, Koreanisch, Japanisch und Russisch. Ach ja, und ein bisschen Italienisch, da hatte ich mal einen Freund.

JOGU: Beeindruckend.

ROBBEETS: Aber ich spreche die Sprachen unterschiedlich gut. Auf Türkisch und Mongolisch kann ich zum Beispiel nur eine Basis-Kommunikation führen.

JOGU: Abschließend noch eine Frage zum Humboldt-Stipendium. Wie kam es dazu?

ROBBEETS: Auf einer Konferenz in Tokio lernte ich Prof. Lars Johanson kennen, der noch immer hier in Mainz am Seminar für Orientkunde tätig ist. Er interessierte sich sehr für meine Arbeit und ist nun mein Gastgeber.

JOGU: Sind Sie denn mit der Ausstattung zufrieden?

ROBBEETS: Ja sehr. Eigentlich läuft ein Humboldt-Stipendium nur ein Jahr, aber ausnahmsweise bekam ich ein weiteres Jahr, jetzt bis Februar 2008,

JOGU: Weiterhin guten Erfolg und vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Frank Erdnüss


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Quelle:
JOGU - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 201, Juli 2007, Seite 28-30
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-2 23 69, -205 93, 39-2 05 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: Annette.Spohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2007