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SPRACHE/480: Das Institut für Deutsche Sprache (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 1/2007

SPRACHFORSCHUNG
Bausteine für die Verständigung
Das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim nimmt Äußerungen in allen Variationen unter die Lupe

Von Ulrich Schmitz


R 5, 6 bis 13 - diese Buchstaben- und Ziffernkombination führt in Mannheim zu einem imposanten städtischen - für das ehemals kurfürstliche Mannheim typisch roten und weißen - Ziegelbau, der auf der nördlichen Ecke des Häuserblocks "R 5" sitzt. Im Kern Mannheims haben die Straßen keine Namen, sondern eben Quadratbezeichnungen in Verbindung mit normalen Hausnummern. Und hier gehen die Wissenschaftler, die dort unter den drei Säulen der Pragmatik, der Lexik und der Grammatik untergebracht sind, auf die Pirsch nach Bedeutungen, die weit über einfache Zeichen oder Wörter hinausgehen.


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Wissenschaft verpflichtet - das wissen vor allem jene, die sich mit Dingen beschäftigen, welche die Menschen tagtäglich umtreibt. Sprache geht uns alle an. Und doch machen sich jene, die sie anwenden, nicht tagtäglich darüber Sorgen, ob dabei auch alles mit rechten Dingen zugeht. Positiv also, wenn das Institut für Deutsche Sprache (IDS) nicht nur im Herzen der Stadt seine Bleibe hat, sondern sich auch in die Herzen der Menschen begibt. Und die haben in Mannheim in diesem Jahr etwas zu feiern: Unter dem Motto "400 Jahre Mannheim bewegen" ist das Stadtjubiläum "Mannheim 2007" das größte öffentliche Ereignis in der Metropol-Region Rhein-Neckar. Bei solch einem Anlass schließt sich das IDS, das vor drei Jahren sein 40-jähriges Jubiläum feierte, den Feierlichkeiten der Stadt Mannheim natürlich mit einem eigenen Programm an. Und startete im Februar mit Witz und Charme: "Mir redde net nach der Schrift" - so lautete der erste Beitrag des IDS zur speziellen "Mannemmer" Sprachvariation in Mannheim. Ebenfalls nicht fehlen durfte in einer Folgeveranstaltung der Hinweis auf Mannheim als "Hauptstadt der deutschen Sprache" - was bei dem Titel des ersten Vortrags zwar geradezu unglaublich klingt, aber bei drei lokalen Einrichtungen, die sich mit Sprache beschäftigen, nämlich Duden, Goethe-Institut und IDS, aber durchaus wahr ist. Am Neckar nimmt man die Dinge eben mit Humor.

Sprachforschung geht auf die Sprachanwender zu, das ist ein Motto am IDS - zum Beispiel letztes Jahr, als das IDS zu einem der Sieger des Wettbewerbs "365 Orte im Land der Ideen" erkoren wurde. Und so auch dieses Jahr auf dem Wissenschaftssommer, der großen Zeltausstellung auf dem Kennedyplatz in Essen, der dort vom 9. bis 15. Juni stattfindet. Provoziert wird gefragt: Sie können alles - auch Hochdeutsch?

Nächste Frage: Deutsche Sprüche, schwere Sprüche? Die Antwort gibt das Erforschen der Sprache mithilfe informatischer Methoden. Wer heute noch Sprachforschung mit dem Schmökern in verstaubten Archiven assoziiert, gehört endgültig aufs Altenteil. Seit moderne Rechenmaschinen quasi auch sprechen können, ist Sprachanalyse mit dem Computer zur Routine geworden. Computer und Sprache sind sich näher als man glaubt. Sichtbar wird dies etwa in der Korpuslinguistik, eins der vielen spannenden Teilgebiete an der IDS-Abteilung Lexik. Mit ihr können die Forscher zum Beispiel aus einem Wurm von Milliarden Wörtern gängige Phrasen herauslesen. Dazu brauchen sie erstens einen entsprechenden Datenbestand und zweitens die mathematischen Methoden, mit denen sich diese extrahieren lassen.

Die Macht der Sprache korreliert mit der Sprache der Macht: Der politischen 68er-Bewegung bis hin zum Modell des "Gangs durch die Institutionen" spüren die IDS-Forscher um Heidrun Kämper zum Beispiel als "Sprache im Vollzug" nach - in den Kontexten, in denen sie gebraucht wurde: in typischen Kommunikationssituationen (etwa studentische Vollversammlung, Podiumsdiskussion) und in Bezug auf typische Textsorten (Flugblatt, Lied, etc.). Das Forschungsprojekt steht unter der Überschrift "Der 68er-Diskurs als Zäsur der Kommunikationsgeschichte". So wird Sprachgeschichte begriffen als Umbruchgeschichte.

Dieses von der DFG für die Dauer von zwei Jahren geförderte Projekt steht konzeptionell und methodisch in engem Zusammenhang mit dem abgeschlossenen Projekt "Zeitreflexion 1945-1955", aus dem als Ergebnisdarstellung die Studie "Der Schulddiskurs in der frühen Nachkriegszeit" hervorgegangen ist. Beide Untersuchungen sind Beiträge zur sprachlichen Umbruchgeschichte des 20. Jahrhunderts. Und die "Zeitreflexion" ihrerseits liefert einen Beitrag als Input für Cosmas II - Verzahnung der Forschung pur.

In der Abteilung Grammatik vollzieht sich derzeit die Arbeit etwa im Gesamtprojekt "Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich" mit den aktuell laufenden Teilprojekten "Grammatik des Nominals" und "Wortmorphologie". Hier wird eine Europäisierung der deutschen Grammatikschreibung angestrebt. Der Vergleich mit europäischen Kontrastsprachen und die Einbettung in einen sprachtypologischen Kontext soll eine Profilierung der grammatikalischen Eigenschaften des Deutschen erbringen. In dem Arbeitsschwerpunkt "Grammatisches Informationssystem" (grammis) sind zudem alle Aktivitäten zusammengefasst, die auf die Bereitstellung eines umfassenden multimedialen elektronisch vernetzten, über das Internet zugänglichen Informationssystems zur deutschen Grammatik ausgerichtet sind. Die Geschäftsstelle des "Rats für deutsche Rechtschreibung" ist als Arbeitsbereich mit Daueraufgaben ebenfalls der Abteilung Grammatik zugeordnet.

Im Januar 2007 konstituierte sich zudem auf europäischer Ebene ein neues Projekt zur Grammatikforschung. In diesem Forschungsnetzwerk kooperieren Forschergruppen aus fünf Ländern Europas unter der Leitung des IDS. Gegenstandsbereiche der Kooperation sind die typologisch und kontrastiv vergleichende Erforschung der Flexionsmorphologie des Deutschen, die didaktische Aufarbeitung der Forschungsergebnisse und die kontrastive Erarbeitung von Inhalten aus am IDS entwickelten thematischen Einheiten zur Grammatik des Deutschen sowie deren Einbindung in eine schon existierende und am IDS konzipierte Internet-Lernplattform ProGr@mm.

In der dritten Abteilung Pragmatik geht es schließlich um die Untersuchung des gesprochenen Deutsch und des sprachlichen Handelns in Gesprächen - hier wird sozusagen dem Volk aufs Maul geschaut. Auch hier wird die Aufgabe ernst genommen, außer der "reinen Forschung" die Rolle des professionellen Dienstleisters und einer zentralen Plattform für die wissenschaftliche Infrastruktur der Forschungsgebiete "Gesprochene Sprache" und "Gesprächsforschung" im deutschen Sprachraum zu spielen. Stark ist die Pragmatik auch in der Migrationsforschung und hat in diesem Kontext soeben eine Studie zu den türkischen "Powergirls" fertiggestellt. Dabei geht es um die Lebenswelt und den kommunikativen Stil einer Migrantinnengruppe in Mannheim. Rekonstruiert wird der Entwicklungsprozesses von der ethnischen Jugendclique zu einer Gruppe sozial erfolgreicher junger Frauen.

Übrigens, wer noch mehr zum Thema Sprache lernen will: Im Mittelpunkt der Ausstellung an Bord des Binnenschiffs "MS Wissenschaft" steht in diesem Jahr das Thema Sprache. Sie wird zwar im täglichen Gebrauch als Werkzeug verwendet, oft jedoch, ohne über sie als solches nachzudenken. Deshalb sind die Forscher des IDS stete Begleiter auf dem Schiff auf all seinen Stationen.


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Das Institut im Überblick

Institut für Deutsche Sprache (IDS)

Das IDS in Mannheim ist die zentrale außeruniversitäre Einrichtung zur Erforschung und Dokumentation der deutschen Sprache in ihrem gegenwärtigen Gebrauch und in ihrer neueren Geschichte. Als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft wird das IDS je zur Hälfte vom Bund und vom Land Baden-Württemberg finanziert. In seinen Abteilungen verfolgt das Institut überwiegend längerfristige Projekte, die die Arbeit in größeren Forschungsgruppen erforderlich machen. Bei einer Reihe von Forschungsvorhaben arbeitet das IDS mit Projektgruppen und Einzelforschern aus den Hochschulen zusammen. Bibliothek, Archive, Dokumentationen, maschinenlesbare Textsammlungen und Sprachdatenbanken stehen auch externen Wissenschaftlern zur Verfügung. Mit seinen Vortragsveranstaltungen, Tagungen und Kolloquien ist das IDS auch ein Ort der wissenschaftlichen Begegnung und Kommunikation für in- und ausländische Germanisten und alle an Sprache Interessierten.

Gründungsjahr: 1964

Direktor: Prof. Dr. Dr. h. c. Ludwig M. Eichinger

Forschungsabteilungen: Grammatik, Lexik und Pragmatik, die Zentralen Arbeitsstellen Öffentlichkeitsarbeit und Dokumentation sowie Zentrale DV-Dienste

Mitarbeiter: 108, darunter 69 wissenschaftliche Angestellte

Jährlicher Etat: 8,02 Mio Euro

Dritt- und Projektmittel: rund 242.000 Euro

Kontakt:
Dr. Annette Trabold
Öffentlichkeitsarbeit und Dokumentation
Institut für Deutsche Sprache
R 5, 6-13
68016 Mannheim
Tel: +49 (0)621 1581-119 / -112
Fax: +49 (0)621 1581-200
E-Mail: trabold@ids-mannheim.de
Internet: www.ids-mannheim.de


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 1/2007, Seite 18-19
Herausgeber: Leibniz-Gemeinschaft
Postfach 12 01 69, 53043 Bonn
Telefon: 0228/30 81 52-10, Fax: 0228/30 81 52-55
Internet: www.leibniz-gemeinschaft.de

Jahresabonnment (4 Hefte): 16 Euro, Einzelheft: 4 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2007