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SPRACHE/452: "langage SMS" - expressiv oder effizient? (Marburger Uni Journal)


Marburger Uni Journal Nr. 28 - Februar 2007

Expressiv oder effizient?
Anja Reinkemeyer unterzieht den "langage SMS" einer sprachwissenschaftlichen Analyse

Von Thilo Körkel


"Von den SMS-Nachrichten, die mir meine französischen Freunde während meines Studienjahrs in Montpellier auf mein Handy schickten, war ich immer wieder überrascht", berichtet Anja Reinkemeyer. "A2min" las sie dort zum Beispiel und brauchte eine Weile, bis sie es als "à demain" ("bis morgen") entzifferte. Oder "CaKLeur2ml", das für "c'est à quelle heure demain" ("wann geht das morgen los?") steht.

Mittlerweile allerdings hat sie viel Übung. Schon in ihrer Examensarbeit schrieb Reinkemeyer, die in Marburg Französisch und Mathematik auf Lehramt studierte, über orthografische Aspekte des in Frankreich weit verbreiteten "langage SMS". "Unter anderem, weil dieselben Laute oft durch ganz unterschiedliche Grapheme, also Schriftzeichen, dargestellt werden können etwa in bateau, bateaux, bientôt , bietet sich das Französische für solche Neuschöpfungen viel mehr an als das Deutsche."


Gegenläufige Verfasserintentionen

Nun systematisiert sie die SMS-Sprache weiter. "Die "Erforschung des Wechselspiels zwischen 'Effektivität' und 'Expressivität' bei der kryptischen Schreibung französischer SMS" ist Reinkemeyers Dissertationsthema. Unter anderem will sie ein allgemeines Modell für die SMS-Kommunikation entwickeln. "Die gegenläufigen Verfasserintentionen, die einerseits auf Effektivität, also bestmögliche Ausnutzung der 160 Zeichen, die eine SMS erlaubt, und andererseits auf Expressivität zielen", werden dabei zentrale Orientierungsgrößen darstellen.

Mittels einer "Aufwändigkeitstheorie" will sie schließlich auch zu einem quantitativen Modell gelangen, das abhängig von verwendeten Schreibweisen und dafür nötigen Tastendrucken - Schlussfolgerungen über Motive und Ziele der Sender erlauben soll. "Oft zum Beispiel wird die Hauptinformation sehr effektiv verfasst, während expressive Schreibweisen die Nachricht wieder stark verlängern können, etwa in 'je suis désoléééé', das tut mir soooo leid". Betreut wird Reinkemeyer dabei von Isabel Zollna, Professorin für Romanische Philologie in Marburg, Unterstützung hat auch deren Kollegin Professorin Dr. Gabriele Beck-Busse zugesagt.

In Frankreich, das sich seit jeher gegen Reformen der komplexen französischen Rechtschreibung wehrt, hat sich zwar schon ein "Kampfkomitee" gegen die "absichtlichen Fehler" der SMS-Sprache gebildet, Reinkemeyer allerdings erwartet nicht, im Rahmen ihrer Dissertation tatsächlich ein neues Schreib-"System" zu finden: "Es lassen sich allenfalls Tendenzen aufzeigen. Der 'langage SMS' ist sehr individuell und durch ein großes Maß an Vagheit gekennzeichnet." Es geht viel mehr darum, so heißt es im Exposé ihrer Arbeit, "sprachliche Regelmäßigkeiten nicht mithilfe eines starren Regelsystems zu beschreiben, sondern durch harte und weiche Beschränkungen, die es erlauben, aus einer Menge von generierten Outputkandidaten einen optimalen Kandidaten auszuwählen".

Um ihre Thesen erhärten zu können, muss Reinkemeyer nun vor allem auch ihren SMS-Korpus erweitern. "Zu meinen ersten drei- oder vierhundert SMS kam ich auf eher abenteuerliche Weise. Meistens habe ich einfach Leute auf der Straße oder im Park angesprochen, ob ich die SMS auf ihrem Handy abschreiben darf." Für die Doktorarbeit allerdings kann sie sich nicht allein auf die Parks in Montpellier verlassen: "Die nächsten SMS werde ich wohl über ganz Frankreich verteilt sammeln, damit regionale Ausprägungen nicht so sehr ins Gewicht fallen."


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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Non ta seur l ta pa di? ier l voule me taP me kann l e ariV G t plu grand kel alor l e parti! mdr

Rätselhaft? Nicht nur nur für Deutsche, auch für Französinnen und Franzosen über dreißig. - Zwei Tipps: "taper" heißt so viel wie "verhauen", und "mdr" steht für "mort de rire", "ich lach' mich tot".


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Quelle:
Marburger UniJournal Nr. 28, Februar 2007, Seite 39
Herausgeber: Der Präsident der Philipps-Universität Marburg
gemeinsam mit dem Vorstand des Marburger Universitätsbunds
Redaktion: Pressestelle der Philipps-Universität Marburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2007