Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → FAKTEN

SCHULE/002: Refik Veseli - Ein "Gerechter unter den Völkern" gibt Berliner Schule seinen Namen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2014

Bildung: Ein 'Gerechter unter den Völkern' gibt Berliner Schule seinen Namen

von Vjollca Hajdari



Berlin, 14. Oktober (IPS) - Was tun wenn Recht zu Unrecht wird? Wenn viele das Falsche tun? Diese Frage stellte sich vor sechs Jahren der US-amerikanische Fotograf Norman H. Gershman in seiner Ausstellung 'Besa' am Internationalen Holocaustgedenktag am Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York. Seine im Jahre 2008 zum ersten Mal gezeigten Bilder erzählen von einer außergewöhnlichen Geschichte, in der es um die Rettung von Juden durch Albaner während des zweiten Weltkrieges geht.

Für sein Projekt hatte der Fotograf bewusst den albanischen Begriff 'Besa' gewählt: ein traditionelles albanisches Ehrenwort, das unter allen Umständen gehalten werden muss, das man nicht brechen darf, selbst dann nicht, wenn das eigene Leben gefährdet ist. "Bis vor einiger Zeit kannte ich 'Besa' nicht", meinte die Programmdirektorin des jüdischen Museums in Berlin, Cilly Kugelmann. "Jetzt weiß ich, es geht um menschliche Kraft, um den Mut und die Zivilcourage von Albanern während des Zweiten Weltkriegs."

Nach der Machtergreifung von Adolf Hitler in Deutschland 1933 flohen Juden in alle Richtungen der Welt. Albanien nahm nach offiziellen Angaben fast 2.000 dieser Flüchtlinge auf, stattete sie mit einem albanischen Pass aus und gewährte ihnen Zuflucht. Einem Gerücht zufolge soll sich auch Albert Einstein kurz in dem südosteuropäischen Land aufgehalten haben und mit dem albanischen Pass 1935 in die USA ausgereist sein. Auch wenn diese Geschichte bis jetzt nicht verifiziert werden konnte - fest steht, dass Albaner - unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit - viele Juden vor der möglichen Deportation gerettet haben.


Ein Teenager als Vorbild

Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat 23.788 Nichtjuden den Titel 'Gerechte unter den Völkern' verliehen, auch 69 Albanern. Refik Veseli und seine Eltern gehören dazu, weil sie nach dem Einmarsch der Deutschen in Albanien im Jahr 1943 zwei jüdische Familien versteckt hielten. Nach Refik Veseli nennt sich eine Schule im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Am 8. Oktober wurde die offizielle Namensgebung feierlich begangen - auch in Anwesenheit von Angehörigen einer der beiden jüdischen Familien, die bis zur Befreiung 1944 bei den Veselis lebten, und des Sohns, der Schwiegertochter und des Enkels ihres Retters.

2012 reiste die Kreuzberger Sekundarschule mit den Schülern der 8., 9. und 10. Klasse zu einer Projektfahrt nach Israel. "Für uns war das ein besonderes Ereignis" sagte Ferat, ein Schüler. Auf dem Programm standen auch der Besuch von Yad Vashem und die Teilnahme an einem Workshop. "Dort erfuhren wir von Refik Veseli", erzählte der Junge.

Die jüdische Familie Mandil war 1942 vor den Nazis nach Albanien geflohen. Zuerst kam sie bei Neshad Prizerini, dem Eigentümer eines Fotogeschäfts, unter, der dem Familienvater Mosche Mandil Arbeit und Wohnmöglichkeit anbot. Im Fotoladen lernte Mandil den 17-jährigen Lehrling Refik Veseli aus dem Dorf Kruja kennen, der das Fotohandwerk in Tirana erlernen sollte. Als die deutsche Wehrmacht in Albanien einfiel, wurde die Situation für die Juden unerträglich. Refik Veseli brachte daraufhin die Mandils ins Bergdorf seiner Eltern und Geschwister, wo sie versteckt wurden. Später kam eine zweite jüdische Familie dazu. Beide jüdische Familien überlebten die deutsche Besatzung bis zur Befreiung im November 1944.

Dem Geschichtslehrer Heinrich Meise zufolge waren seine Schüler von der Geschichte so begeistert, dass sie nach ihrer Rückkehr aus Israel Refik Veseli als Namensgeber für die weiterführende Schule vorschlugen. "Sie fanden es toll, dass ein 17-Jähriger, ein Junge in ihrem Alter, den Mut hatte, die jüdischen Familien zu retten."

Sein Name wurde in dem Namensgebungsprozess als einer von vielen Vorschlägen eingebracht. Der Vorschlag wurde von Lehrern, Schülern und Eltern einstimmig angenommen. Für eine Schule, die zu 95 Prozent von Schülern mit Migrationshintergrund besucht wird, ergebe sich dadurch ein neuer Zugang bei der Auseinandersetzung mit dem Holocaust oder der Schoah. "Wir sind da in einem ganz neuen Themenfeld", betonte Meise. Neben einer deutschen werde den Schülern eine albanische Perspektive aufgezeigt.

70 Jahre nach der Befreiung Albaniens fanden sich Ruti und Ron Mandil, die Enkelkinder von Mosche Mandil, "im Herzen Deutschlands" ein, um des Retters ihrer Verwandten zu gedenken. Dass eine deutsche Schule nach Refik Veseli benannt werde, bezeichnete Ruti Mandil als wichtigen Schritt. "Als ihr euch dazu entschlossen habt, die Erinnerung an den Namen Refik Veseli zu bewahren, habt ihr euch dazu entschlossen, das Licht zu bewahren", erklärte sie vor Schülern, Lehrern und Eltern und würdigte den Namensgeber der Schule als eine Person, die von dem humanistischen Impuls geleitet worden sei, Menschenleben zu retten, unabhängig von deren Kultur, Rasse und Religion.


Anerkennung von Verschiedenheit

"Es handelt sich auf alle Fälle um eine Botschaft des Friedens", bekräftigte Schulleiterin Ulrike Becker. An ihrer Bildungseinrichtung sei man bestrebt, den Schülern die Anerkennung von Verschiedenheit zu vermitteln - ein Konzept, das bei Schülern und Eltern offenbar gleichermaßen ankommt: "An unserer Schule gibt es viele Nationalitäten, die untereinander befreundet sind", sagte Feride, Schülerin der Klasse 10. Sie verbinde den Namen Refik Veseli mit Freundschaft zwischen unterschiedlichen Religionen und Nationalitäten. "Für mich bedeutet er Respekt, Hilfe und Unterstützung" fügte Nura, Schülerin der 9. Klasse, hinzu.

Während Geschichtslehrer Meise den neuen Namen der Schule als "Zeichen für Akzeptanz und Inklusion in der Gesellschaft" verstanden wissen will, wünschte sich ein türkischer Vater, "dass Refik Veseli für unsere Kinder zum Vorbild wird".

Was wohl Refik Veseli selbst dazu sagen würde? "Er war kein Mann großer Worte. Er handelte nicht aus dem Bedürfnis heraus, Ruhm zu erlangen. Doch sicher wäre er stolz gewesen, zu erfahren, dass eine Schule seinen Namen trägt", meinte Ron Veselaj, Enkel des im Jahre 2000 verstorbenen Refik Veseli. Um die Namensgebung seines Großvaters mitzuerleben, ist er mit seinen Eltern aus Tirana nach Berlin gereist. (Ende/IPS/kb/2014)

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2014


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang