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MELDUNG/079: Populäre Kultur - Vergnügen für Viele / Popkongress an Uni Hildesheim (idw)


Stiftung Universität Hildesheim - 04.02.2016

Populäre Kultur: Vergnügen für Viele / Popkongress an Uni Hildesheim


Zirkus, Wild West Show, Youtube-Video - ein Blick in die Geschichte zeigt: Die Populäre Kultur lebt von dem "Zuviel". Professor Stefan Krankenhagen beschäftigt sich mit dem gemeinsamen Erleben, Internetphänomenen, Sportkultur und einer jungen Wissenschaftsdisziplin. Er untersucht in Hildesheim das, was Massen unterhält und Vergnügen schafft. Mit einer reinen Musikanalyse kann man Elvis Presley, die Beatles oder heute Lady Gaga nicht erklären. Der Unterhaltungswert entsteht immer als Koproduktion, sagt Krankenhagen. Anfang Februar tagen an der Uni Hildesheim etwa 80 Fachleute auf dem Popkongress 2016. Die Universität Hildesheim hat 1983 die erste Professur für Populäre Kultur besetzt.


Die gesellschaftlichen Bedingungen für Populäre Kultur entstanden vor 150 Jahren - Demokratisierung, Ökonomisierung, Internationalisierung, Medialisierung. "Um 1850 entstehen frühe Formen der heutigen Illustrierten, die produziert werden, um ihre Leserinnen und Leser nicht nur zu bilden, sondern in gleichem Maße zu vergnügen, zu unterhalten. Die 'Gartenlaube' ist sicherlich das bekannteste erste große Massenblatt in Deutschland", sagt Professor Stefan Krankenhagen über die Anfänge der Populären Kultur. "1887 kommt die Wild West Show mit William Cody aka Buffalo Bill mit einer großen Tournee von Amerika nach Europa und zeigt sich nicht nur in den großen Städten, sondern genauso in Karlsruhe oder Braunschweig. Die Show tourt mehrmals durch europäische Städte - mit Indianern, Pferden und Büffeln." Die Wild West Show arbeitete mit einer "spannungsgeladenen Dramaturgie mit inszenierten Überfällen, Schieß- und Reitwettbewerben".

In den letzten 150 Jahren entstanden neue Formen, um Viele zu erreichen, das Radio, der Film, das Fernsehen, die heutigen digitalen Medien. Die Populäre Kultur habe sich aber nicht grundlegend verändert. "Weiterhin entscheidend ist: Man braucht für die Populäre Kultur immer ein Zuviel. Wenn eine Gesellschaft auf das Erlebnis ausgerichtet ist, dann heißt das: Es gibt ein Zuviel und damit eine Wahl. Wie wähle ich meine Erlebnisse aus, so dass sie mein eigenes Selbst möglicherweise stützen, bestätigen oder herausfordern? Was unterhält mich auf welche Weise?", sagt Stefan Krankenhagen. An der Universität Hildesheim lehrt der Professor die Kulturgeschichte der Populären Kultur und in den Bereichen Sportkultur, frühe Unterhaltungskultur und Kulturtransfer (Amerika - Deutschland).

Die Populäre Kultur bewegt sich zwischen Büchern wie "50 Shades of Grey", "Unboxing"-Phänomenen auf YouTube und weiterhin dem Zirkus oder der Varieté-Show, sagt Krankenhagen. Auch die Sportkultur zähle dazu, die "zwischen einer Nationalsportart wie Fußball und einer Sportkultur wie dem Wrestling variiert".

Die Populäre Kultur erwächst aus einem gemeinsamen Erlebnis. "Das Gemeinsame bedeutet, dass ich mich als Einzelner und als Teil des Publikums gleichzeitig wahrnehme und dass ich mich verbinde mit dem, was auf der Bühne passiert. Der Unterhaltungswert entsteht immer als Koproduktion. Auch die Zeitschriften vor 150 Jahren funktionierten über Lesezirkel im Sozialen, wurden an den nächsten Leser weitergegeben. Im Moment der Teilhabe - der Beziehungserfahrung - entsteht erst das Populäre. Den Star Elvis Presley erschaffen wir im Moment des Konzertes immer mit - sein Aussehen, seinen Hüftschwung, die Jungs und Mädchen, die ihm zujubeln. Mit einer reinen Musikanalyse kann man Elvis Presley, die Beatles oder heute Lady Gaga nicht erklären", sagt Krankenhagen.

Das gemeinsame Erleben setzt sich heute auch im virtuellen Raum fort, etwa wenn Youtube-Videos über soziale Netzwerke geteilt und kommentiert werden. In likes oder hashtags können Internetnutzer Teilhabe öffentlich darstellen, aber auch Mehrheiten bilden. "Wer versammelt sich unter meinem hashtag? - das ist auch eine neue Form der temporären Mehrheitsbildung", so der Kulturwissenschaftler.

Mit seinen Studierenden blickt Stefan Krankenhagen auf die Kulturgeschichte. Warum gibt es heute fast keine Western mehr? Warum sind Winnetou und Old Shatterhand nicht mehr interessant für die Generation heute? "Die Namen sind komplett weg. Die Klassiker sind nicht mehr geläufig unter den 20-Jährigen." Eine Studentin aus dem Hildesheimer Studiengang "Literarisches Schreiben" hat in ihrer Hausarbeit versucht, Karl May zu modernisieren und signifikante Abschnitte neu geschrieben. "Sie hat in der Praxis festgestellt, was wir aus der Theorie wissen: Karl May steht in der Tradition der Reiseberichterstattung. Für heutige Verhältnisse sind die Landschaftsbeschreibungen unglaublich langatmig - die waren aber zur Zeit ihres Erscheinens, Ende des 19. Jahrhunderts, interessant, weil sich die Massenmedien erst entwickelt haben, die uns die fernen Länder auf unterhaltende Weise aufbereitet haben", sagt Krankenhagen.


Info / Popkongress 2016 in Hildesheim:

Die Universität Hildesheim erwartet zum Popkongress vom 4. bis 6. Februar 2016 etwa 80 Fachleute. Die 8. Jahrestagung der Arbeitsgruppe "Populärkultur und Medien" in der Gesellschaft für Medienwissenschaft beschäftigt sich mit der Entstehung einer jungen Wissenschaftsdisziplin. Die Studien zu Pop- und Populärer Kultur haben in den letzten dreißig Jahren ihren Weg in die Institutionen und in die wissenschaftliche Professionalisierung gefunden. Popmusik und Populäre Kultur kann man mittlerweile an vielen Orten im deutschsprachigen Raum lehren, forschen und studieren. Die Universität Hildesheim hat mit der Besetzung der ersten Professur für Populäre Kultur 1983 eine entscheidende Rolle gespielt. Hochschulen für Musik haben das Fach "Popmusik" in ihre Lehre integriert, in Mannheim entstand die Popakademie, die sich mit Popbusiness und Kulturmanagement beschäftigt.

Der Popkongress wird am 4. Februar 2016 um 16:00 Uhr im Burgtheater auf dem Kulturcampus Domäne Marienburg (Domänenstraße, 31141 Hildesheim) eröffnet. Zunächst gehen die Medienwissenschaftlerin Prof. Irmela Schneider (Köln) und Philipp Felsch, Juniorprofessor für Geschichte der Humanwissenschaften in Berlin, auf Spurensuche. Wer sagt, was man über Popkultur wissen muss? Über Pop-Studiengänge diskutieren am 5. Februar ab 16:00 Uhr die Musikwissenschaftlerin Prof. Susanne Binas-Preisendörfer (Oldenburg), Christoph Jacke (Professor für Theorie, Ästhetik und Geschichte der Populären Musik, Paderborn), Prof. Stefan Krankenhagen (Hildesheim), der Berliner Professor für Medienmanagement Martin Lücke und Hans Nieswandt (seit über 20 Jahren in der Welt der DJ-Kultur und elektronischen Musikproduktion unterwegs, Bochum). Am 6. Februar sprechen der Braunschweiger Musikpädagoge Prof. Bernhard Weber über populäre Musik in Bildungsprozessen und der Hildesheimer Kulturjournalist Guido Graf über "Dichtung als Pop".

Der Kongress wird von Barbara Hornberger, Johannes Ismaiel-Wendt und Stefan Krankenhagen organisiert. Interessierte sind herzlich eingeladen. Die Teilnahme an den Vorträgen ist kostenfrei.

Das Programm ist im Internet zu finden:
www.popkongress.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution102

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Stiftung Universität Hildesheim, Isa Lange, 04.02.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2016

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