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INTERNATIONAL/027: Simbabwes Literatur und Musik sind lebendig (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, November/Dezember 2016

Starke Pervormance
Simbabwes Literatur und Musik sind lebendig

von Itai Mushekwe


Trotz der politischen und wirtschaftlichen Krise gibt es positive Entwicklungen. Das über einem Jahrzehnt herrschende Chaos hat die Kulturindustrie schwer angegriffen. Aber es zeigt sich ein Silberstreif am Horizont. Eine Generation junger Künstler und vor allem Künstlerinnen haucht ihr neues Leben ein. Davon zeugen Auftritte auf verschiedenen Bühnen der Welt.


Ein neuer Stern leuchtet an Simbabwes Bücherhimmel. Es ist Petina Gappah. Die promovierte Juristin, die in Simbabwe, Österreich und Großbritannien studiert hat und jahrelang als Expertin für Handelsrecht in internationalen Gremien in Genf arbeitete, folgt großen Namen. Dazu zählt Tsitsi Dangarembga. Ihr wichtigster Beitrag für die Literaturszene Simbabwes ist der 1988 erschienene Roman "Nervous Conditions" (Der Preis der Freiheit). Er wurde ein großer Erfolg und 1989 mit dem Commonwealth Writers' Prize ausgezeichnet. Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die mit dem kolonialen Bildungswesen, direkten und subtilen Rassismen sowie begrenzenden Rollenerwartungen ringt. Ihre Geschichte über das konfliktreiche Erwachsenwerden spielt in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren. Manche Literaturkritiken weisen auf politische Dimensionen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hin: Denn junge Mädchen und Frauen riskierten als Unabhängigkeitskämpferinnen in den 1970er Jahren ihr Leben und verhalfen als Wählerinnen der Regierungspartei Zanu 1980 an die Macht. Trotz anderslautender Propaganda schloss diese Frauen weitgehend aus politischen Entscheidungsprozessen und wirtschaftlicher Teilhabe aus. Diskriminierung und Gewalt sind verbreitet.

Auch die berühmte Schriftstellerin Yvonne Vera aus Bulawayo, die in den 1990er Jahren Kunstwissenschaften, Film und englische Literatur in Kanada studiert hatte und darin als erste Wissenschaftlerin Simbabwes promovierte, thematisierte das Leiden junger Mädchen und Frauen während der Kolonialzeit, im Unabhängigkeitskrieg und kurz danach. Ihre Dissertation behandelte das Gefängnis als kolonialen Raum. Kolonialstaatliche Repression und Trauma, politisch motivierte und familiäre Gewalt sind in ihren Romanen eng verwoben. Dazu zählen: "Without a Name" (Eine Frau ohne Namen), "Under the Tongue", "Stone Virgins" und "Butterfly Burning" (Schmetterling in Flammen). Veras Protagonistinnen durchleiden Kindesmissbrauch und Kindstötung, Abtreibung, gewaltsame Demütigungen durch gebrochene Männer (teils Ex-Kämpfer); hinzu kommen emotional fordernde, mächtige Geistervorstellungen. Für alle Werke erhielt Vera mehrfach Preise, wie den Commonwealth-Preis 1997 und 2002, den Literaturpreis 2002 und den Tucholsky-Preis 2004. Ihr früher Tod 2005 beendete abrupt ihre schriftstellerische Entfaltung und ihre Arbeit als Direktorin der Nationalgalerie in Bulawayo, die sie fünf Jahre lang geleitet hatte.


In großen Fußstapfen

Petina Gappah folgt also markanten Fußstapfen, die herausragende Schriftstellerinnen vor ihr hinterlassen haben - ganz abgesehen von den früheren männlichen Titanen der Literaturszene, wie den preisgekrönten Dambudzo Marechera oder Chenjerai Hove. Aber sie passt in die großen Schuhe eines männlich dominierten Terrains. Kürzlich stellte sie beim internationalen Literaturfestival in Berlin und auf einer Lesereise in Hamburg, Frankfurt und Köln ihren Debütroman "The Book of Memory" vor, der 2015 auf Englisch und nun in deutscher Übersetzung erschien. "Die Farben des Nachtfalters" folgt dem 2010 publizierten und bereits ausgezeichneten Erzählband "An Elegy for Easterly".

Als erste Simbabwerin wurde Gappah vom Deutschen Akademischen Austauschdienst für das renommierte Berliner Künstlerprogramm 2017 ausgewählt. 2011 war der führende Poet Chirikure Chirikure dort eingeladen. Er und simbabwische Autoren wie Tendai Huchu oder Christopher Mlalazi haben inzwischen eine Nische auf dem deutschen Buchmarkt gefunden. Gappah selbst zeigt sich von ihrem Erfolg überrascht; die Resonanz auf "The Book of Memory" übertreffe all ihre Erwartungen. Er beflügle sie, ihr literarisches Arbeiten fortzusetzen, sagte sie in einem Interview.


Körper der Erinnerungen

Ähnlich wie Vera und Dangarembga widmet sich Gappah den Erinnerungen und verletzten Körpern junger Frauen sowie übermächtigen Geisterwesen, die deren Seelenleben immer wieder erschüttern. Auch ihren Roman "Die Farben des Nachtfalters" durchziehen abrupte Rückblenden, einzelne Spuren der Kindheit und des Erwachsenwerdens, sensible Wahrnehmungen struktureller Familienprobleme und verschwiegener Gewalt. Symbolreich heißt ihre Protagonistin, eine Albino-Frau, Memory, eine Figur, in deren Mikrokosmos die Kolonialgeschichte und die politische Wirklichkeit Simbabwes hineinwehen.

So hat eine Zeitungsmeldung vor einigen Jahren Gappah zur Verortung der Handlung motiviert: Demnach fehlte es wegen der fortdauernden Krise im Land nicht nur an Lehrern oder Gesundheitspersonal, sondern auch an Henkern. Die Kandidaten in den Todeszellen müssten also ausharren. Deshalb spielt Gappahs Roman im Chikurubi-Hochsicherheitsgefängnis in Harare, wo Memory auf die Vollstreckung ihrer Todesstrafe wartet. Sie ist wegen Mordes an ihrem Ziehvater Lloyd Hendricks verurteilt, den sie aber nicht begangen hat. Durch den Kontakt mit ihrer Anwältin und einer ausländischen Journalistin kann Memory ihre Erinnerungen in einfachen Schreibheften zu Papier bringen - sie bilden die Grundlage dieses Romans.

Vergleichbar mit Vera und Dangarembga bricht Gappah gesellschaftliche Tabus, die das Leben junger Frauen schwer belasten. Es geht um Kindsmord und Zwangsheirat, die eine alte Familienschuld sühnen soll. Zudem steht der zerstörerische Aberglaube über Albinismus im Mittelpunkt, der nicht nur in Simbabwe das Leben der Menschen mit diesen genetisch bedingten Hautpigmentveränderungen gefährdet. In Ostafrika gelten Körperteile und Blut von Albinos als Glücksbringer für Geschäftsleute und Politiker. Im Pakt mit skrupellosen Heilern zahlen sie hohe Summen für abgehackte Gliedmaßen oder ermordete Albino-Kinder.

Zwar muss die Protagonistin Memory dank ihres fürsorglichen Vaters nicht fürchten, unter die Messer solcher Halsabschneider zu geraten, doch das Kind in einem Township von Harare ist mit alltäglichen Schikanen durch einen Nachbarjungen konfrontiert. Memory verbringt die ersten Jahre ihrer Kindheit in dunklen Wohnräumen, denn ihre Eltern können sich weder teure Hautsalben noch eine kostspielige Schulbildung leisten. Beides finanziert ihr Pflegevater Lloyd, bei dem sie ab dem neunten Lebensjahr wohnt. Er bietet Memory ein geschütztes Zuhause und öffnet ihr neue Welten. Dennoch erschweren Schweigen und Missverständnisse ihren Alltag. Verhängnisvoller Verrat und ein unaufgeklärter Mord fordern die Leser heraus.

Die Juristin Gappah war selbst nicht im Chikurubi-Gefängnis, dessen menschenunwürdiges Innenleben sie beschreibt. Ihre Detailkenntnisse verdankt sie politischen Gefangenen und anderen Autorinnen, die über inhaftierte Frauen berichteten.


AWA African Women Arise

Bürden und Gewalterfahrungen junger Frauen benennt auch AWA. Ihr Name African Women Arise (AWA) ist programmatisch. Die 24-Jährige aus Bulawayo, die eigentlich Awakhiwe Sibanda heißt, begann 2012 als Musikerin und gilt inzwischen als namhafte Rapkünstlerin. Kürzlich trat sie in Köln beim Festival "Urban Africa - My future in 2020" und beim dortigen Afrika-Filmfestival auf. "Niemand in der Hip-Hop-Industrie erzählt Geschichten wie ich. Alle denken, Rap ist für Jungen. Aber ich spreche Themen an, die Frauen betreffen, wie Vergewaltigungen und Teenagerschwangerschaften", sagte sie in einem Interview. Zuhause erwarte man von ihr, sie solle mit weicher Stimme nette Lieder singen - am besten in der dominierenden Sprache Shona. Doch AWA rappt auf Ndebele, allein diese Tatsache erschwert ihren Zugang zu den wenigen Tonstudios in der zweitgrößten Stadt des Landes. Die staatliche Zensur hat die Musikindustrie längst in die Knie gezwungen. Die verbliebenen Medien beschränken sich auf Regierungspropagada. Staatliche Rundfunkanstalten boykottieren Awas Lieder.


Rap für Menschenrechte

AWA erreicht ihr Publikum über soziale Medien, wie Facebook und YouTube. Zudem trat sie beim Shoko(Wort)-Festival 2016 auf, dem größten unabhängigen Kulturereignis im Land. Längst hat AWA ihren eigenen innovativen Stil mit sehr schnellen Raps und starken Texten über Frauenrechte und Empowerment geprägt. Weil sie auf einzigartige Weise Hip-Hop für Menschenrechte nutzt, geriet die international beachtete Künstlerin bereits ins Visier des staatlichen Geheimdienstes CIO, der in Bulawayo ein großes Zentrum mit viel Personal eingerichtet hat. Das hat Tradition: In den ländlichen Matabeleland-Provinzen terrorisierten Spezialeinheiten der 5. Brigade im Regierungsauftrag in den 1980er Jahren die Bevölkerung - vor allem unschuldige Frauen und Kinder. Schätzungsweise 20.000 Menschen wurden umgebracht.

CIO-Mitarbeiter warnten AWA, weil sie an einem oppositionellen Massenprotest für Arbeitsplätze teilgenommen hatte. Dennoch will die couragierte Musikerin weiterarbeiten. AWA und andere mutige Künstlerinnen erheben ihre Stimme; sie beschreiben die Kluft zwischen der gewaltgeprägten Lebensrealität vieler junger Frauen und den Zielen der Afrikanischen Union, die 2016 zum Jahr der Menschenrechte mit dem Fokus auf Frauenrechte erklärt hatte.


Der Autor ist simbabwischer Journalist. Er lebt im Exil.

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Simbabwes Literatur und Musik sind lebendig. Trotz der politischen und wirtschaftlichen Krise gibt es positive Entwicklungen. Eine Generation junger Künstlerinnen haucht der Kulturszene neues Leben ein. Itai Mushekwe hat ihre Auftritte beobachtet und sieht einen Silberstreif am Horizont.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 6, November/Dezember 2016, S. 29-30
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2017

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