Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → FAKTEN

INTERNATIONAL/005: Indien - Ein Hirtenvolk lernt lesen und schreiben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Juni 2011

Indien: Von der Büffelweide ins Klassenzimmer - Ein Hirtenvolk lernt lesen und schreiben

Von Nitin Jugran Bahuguna


Dehradun, Indien, 16. Juni (IPS) - Wenn Mohammad Junaid auf der Sommerweide hoch oben im Himalaja die Büffel der Familie hütet, träumt er vom Sport- und Computerunterricht an seiner Schule, dem 'Blauen Stern' in Dehradun, der Hauptstadt des nordindischen Bundesstaates Uttarakhand. Hier werden Kinder wie er unterrichtet, die im Sommer mit ihren Hirtenfamilien im entlegenen Himalaja-Hochland leben und deren Bildungschancen andere Programme kaum berücksichtigen.

Das traditionsbewusste, muslimische Nomadenvolk der Van Gujjar betreibt Wanderweidewirtschaft und ist im Sommer mit seinem Vieh im Hochland unterwegs. Im September kehren die Hirten zurück in das Waldland der Shivalik-Berge und schicken ihre Kinder den Winter über zur 'Blue Star Van Gujjar School' in Mohund am Stadtrand von Dehradun.

Die Bildungseinrichtung wurde 1998 von der Nichtregierungsorganisation (NGO) 'Rural Litigation and Entitlement Kendra' (RLEK) gegründet und unterrichtet mit sechs Lehrern und etlichen freiwilligen Hilfskräften 115 Mädchen und 120 Jungen bis zum Ende der 10. Klasse. Auch praktische Fächer werden angeboten. Das Schulgebäude ist ein Rundbau und gleicht den traditionellen Lehmhäusern ('Deras') der Van Gujjars.


Mitarbeit der Eltern erwünscht

Anders als die üblichen Förderprogramme legte die Bildungsinitiative RLEK von Anfang an besonderen Wert auf die Kooperation der Eltern. "Sie werden sich nur dann eine gute Schulbildung für ihre Kinder wünschen, wenn sie deren Bedeutung einsehen", betonte RLEK-Vorsitzender Avdhash Kaushal.

Einer der ersten Van Gujjars, die am Erwachsenenprogramm teilnahmen, war Zaroor. "Früher, als ich im Dschungel lebte, interessierte mich das Lernen nicht", berichtete er. "Doch seit meiner Mitarbeit am RLEK-Programm habe ich so viele Dinge gelernt, dass ich beschloss, auf Dauer mit meiner Familie nach Mohund zu ziehen. Meine Kinder sollen eine gute Schulbildung erhalten und sich in die Gesellschaft integrieren", erklärte er.

Zaroors neunjähriger Sohn Javed Ahmed freut sich nach seiner Versetzung in die 5. Klasse genauso auf den Schulbeginn im 'Blauen Stern' wie der 13-jährige Mohammad Juniad. Seine Schwester Farida ist 17 Jahre alt und hat die Schule erfolgreich abgeschlossen. Am liebsten würde sie weiter lernen. Doch die Fahrt zur nächsten, zwölf Kilometer entfernten staatlichen Oberschule sei zu teuer, stellte sie fest. Ihren Wunsch, Lehrerin zu werden, will sie jedoch nicht aufgeben. Zuversichtlich meinte sie: "In der Schule hatte ich Handarbeitsunterricht. Ich werde mit Nähen Geld verdienen und sparen, um später studieren zu können."

Nach Angaben des RLEK-Vorsitzenden Kaushal schränken Umweltschutzmaßnahmen die traditionelle Lebensweise der mehr als 21.000 Van Gujjar-Familien mit ihren jeweils acht bis zehn Mitgliedern mehr und mehr ein. "Bisher haben 21.000 bei uns lesen und schreiben gelernt. Jetzt sind sie in der Lage, für ihre traditionellen Rechte zu kämpfen und sich im Alltag besser zu behaupten", betonte der Aktivist. "Sie können sich wehren, wenn Milchhändler sie übers Ohr hauen wollen, und Schadenersatz für Vieh fordern, das auf schlechten Straßen zu Tode gekommen ist", erklärte er. (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://www.rlek.org/
http://www.globalissues.org/news/2011/06/12/10047

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. Juni 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2011