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NEUERSCHEINUNG/577: 08/08 · Peanuts Werkausgabe (5) 1959-1960 (SB)


Charles M. Schulz


Peanuts Werkausgabe

Band 5 - 1959 bis 1960



Er hätte es nicht gewollt ...

Charles M. Schulz hätte es nicht gewollt: Eine Gesamtausgabe der "Peanuts" in chronologischer Reihenfolge vom ersten bis zum letzten Strip. Ein großer Comic-Verlag hatte ihm genau dies einige Jahre vor seinem Tod im Jahr 2000 angeboten - Schulz lehnte ab. Keiner würde diese alten Sachen lesen wollen und sie seien auch nicht sehr gut. Fast fünf Jahrzehnte Comic Strips? Du liebe Güte!

Doch dann autorisierte seine Witwe, Jean Schulz, eine Publikation des Gesamtwerks ihres Mannes - nicht ohne ein leises schlechtes Gewissen, wie sie anläßlich der Präsentation des ersten Bandes, der Anfang Mai 2004 in den USA erschien, der New York Times anvertraute. Doch sie versucht, über ihre Schuldgefühle hinwegzukommen, zumal ihr verstorbener Mann sich in einem wichtigen Punkt geirrt hat: Es gibt durchaus Leute, die das alte Zeug lesen wollen - und es obendrein höchst interessant finden, mitzuverfolgen, wie der Schöpfer von Charlie Brown, Snoopy und all den anderen seinen Comic-Kosmos Stück für Stück aufbaute, verfeinerte und präzisierte.


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Niemand, nicht einmal Charles M. Schulz selbst, hätte sich träumen lassen, daß der 2. Oktober 1950 den Beginn eines der größten Erfolge in der Geschichte der Comics bedeuten würde. Denn bislang war Schulz mit seiner Serie "L'il Folks" ("Kleine Leute") nur auf Ablehnung gestoßen, als er sie verschiedenen amerikanischen Comic-Agenturen (welche die Strips wiederum an Tageszeitungen vermarkten), anbot. Erst nach hartnäckigen Anläufen griff eine Agentur, die "United Feature Syndicate", zu und startete, nachdem man den Strip gegen Schulz Willen, der diesen Namen zeitlebens ablehnte, in "Peanuts" umbenannt hatte (was sowohl "Erdnüsse" als auch "Kleinigkeiten" bedeuten kann), und veröffentlichte die Serie zunächst in einigen wenigen Tageszeitungen.

Auch acht Jahre nach Charles M. Schulz' Tod und dem Ende der Serie sind die Peanuts immer noch einer der erfolgreichsten Comic Strips der Welt. Daß die Serie von Erwachsenen und Kindern gleichermaßen gern gelesen wird, ist nur einer der Gründe für ihren immensen Erfolg. Hauptsächlich ist es wohl der liebenswerte Charme der Figuren, die von ihrem Schöpfer mit genau jener Mischung aus Schwächen und Stärken ausgestattet wurden, welche ihnen die Art von "Menschlichkeit" verleihen, in der jeder Leser sich wiederfinden und mit der er sich identifizieren kann.

Allen voran genannt sei hier Charlie Brown, der geborene Antiheld und die Figur, die Charles M. Schulz besonders am Herzen lag. Die Mißgeschicke des ebenso gutmütigen wie ungeschickten Jungen, der wegen seiner Unsicherheit stets zur bevorzugten Zielscheibe des Spottes seiner Umgebung wird, sind Legion. Er ist nicht einmal dazu in der Lage, erfolgreich einen Ball zu treten oder gar einen Drachen steigen zu lassen. Die von ihm ebenso aufopferungsvoll wie unkundig betreute Baseball-Mannschaft verliert mit sagenhaften 123:0.

Um Charlie Brown gruppiert sich eine Schar von interessanten Nebenfiguren, von denen jeder einzelne eine ausgeprägte Persönlichkeit verkörpert: Da sind unter anderem der stille Linus, der sich nur in der Nähe seiner Schmusedecke wirklich sicher fühlt, die agile Lucy, eine intrigante Nervensäge, die es liebt, sich in das Leben der anderen einzumischen, eine "psychologische Beratungsstelle" führt und sich unsterblich in das Musikgenie Schroeder verliebt hat, einen typischen Künstler, der Beethoven verehrt und seinem Spielzeugklavier die meisterhaftesten Töne entlocken kann, ansonsten aber von der Welt nicht viel wissen will. Weitere Figuren sind der Wildfang Patty, die aufgeweckte Sally und einige andere mehr.

Zur heimlichen Hauptfigur der Serie wurde im Laufe der Zeit Snoopy, Charlie Browns verträumter und etwas neurotischer kleiner Hund, der seine Zeit vorzugsweise tagträumend auf dem Dach seiner Hundehütte verbringt. Zu seinen liebsten Träumereien zählen die ruhmreichen Fliegerabenteuer, die er als "roter Baron" erlebt. Ansonsten kümmert er sich rührend um seinen kleinen Freund, den Piepmatz Woodstock, dem er väterlich mit Rat und Tat zur Seite steht, und sorgt mit energischem Einsatz dafür, daß Charlie Brown seinen Freßnapf stets gefüllt hält.

Erwachsene Figuren tauchen in der Serie zwar nie direkt auf, stellen jedoch eine latente Bedrohung im Hintergrund dar. Sie repräsentieren Schule, Pflichterfüllung und all die Anforderungen des Erwachsenenlebens, denen man sich am liebsten entziehen möchte, aber nicht kann. In den Gesprächen der Kinder untereinander, die mal naiv, mal altklug ihre Ansichten, Geheimnisse und Träume kundtun, spiegeln sich die Neurosen der Erwachsenenwelt wider, ebenso wie sie die gesellschaftliche Entwicklung Amerikas und damit der westlichen Welt gründlich reflektieren. Und so ist die Welt der Peanuts zwar eine Kinderwelt, aber keine heile Welt, ein Umstand, der wahrscheinlich wesentlich mit dazu beitrug, daß die Peanuts - neben Asterix - zur meistuntersuchten Comic-Serie wurden, zumal sie maßgeblich dazu beitrugen, daß sich Comics auch bei einem Publikum mit intellektuellem Selbstverständnis einen Platz verschaffen konnten.


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Jedes Jahr erscheinen zwei Ausgaben der kleinen, feinen, auf 25 Bände angelegten Werkausgabe, die jeweils zwei Jahre des Comicschaffens von Charles M. Schulz zusammenfassen. In diesen Tagen kommt Band fünf in den Handel, der die Jahre 1959 bis 1960 umfaßt. Zahlreiche der 731 Strips dieses Bandes erscheinen in deutscher Erstveröffentlichung, was die Anschaffung für Peanuts-Fans somit noch attraktiver macht. Ein Vorwort von Whoopi Goldberg, eine Kurzbiographie von Gary Groth, Glossar und Stichwort-Index ergänzen den Hardcoverband, der mit solider Bindung und kompaktem Format keinesfalls nur dazu bestimmt sein sollte, das Bücherregal zu zieren, sondern vielmehr zu ausgiebigem Stöbern und Studieren einlädt.

Die strenge Chronologie dieser Reihe erlaubt es dem Leser, die Entstehung und Erweiterung des Peanuts-Kosmos Tag für Tag mitzuverfolgen. Nachdem Schulz in den ersten Jahren die einzelnen Charaktere ausarbeitete und ihre Beziehungen zueinander festlegte, entwarf er ab 1955 die ersten seiner klassischen running gags, zu denen u.a. Snoopys Rollenspiele und Charlie Browns Baseball-Niederlagen gehören. Darüber hinaus wagte er den Schritt, seinen Lesern häufiger ungewöhnliche und sogar düstere Geschichten zuzumuten. Mit in dem in dem nun vorliegenden Band vollzogenen Start ins zweite Jahrzehnt der Reihe kamen Motive hinzu, die heute automatisch mit den Peanuts assoziiert werden wie Snoopy auf dem Dach seiner Hundehütte oder Lucy an ihrem Psychiater-Stand. Außerdem hielt Charlie Browns kleine Schwester Sally Einzug in die Serie und avancierte binnen kurzem vom Baby zum vollwertigen Mitglied der Kinder-Clique.

Daß der emotionale Rohstoff für die Peanuts aus Charles M. Schulz nicht gerade positiven Jugenderfahrungen resultiert - unerwiderte Liebe, Ablehnung und Demütigungen, die er während seiner Highschoolzeit erfuhr und der Einsamkeit, die als Armeesoldat während des zweiten Weltkriegs kennenlernte - ist hinlänglich bekannt. Schon Umberto Eco schrieb in seinem Essay "Die Welt des Charlie Brown", daß in dem aus einem knappen Dutzend feinfühlig charakterisierter Kinder bestehenden Peanuts-Mikrokosmos "die menschliche Tragödie oder die menschliche Komödie vollständig verkörpert" sei. Darüber hinaus ist Schulz aber auch das Kunststück gelungen, über alle Tragik eine feine, über den Dingen stehende Weisheit und Ironie zu legen, die den Anblick all dieser Schrecknisse und Absurditäten möglich macht und dem Leser in einer Art zeitlosen Lebenshilfe im günstigsten Fall sogar ein wenig dabei helfen kann, einen gewissen ironischen Abstand zu seinen eigenen Problemen zu gewinnen - was bereits ein kleiner Schritt in Richtung zu deren Bewältigung sein kann.


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Charles Monroe Schulz wurde am 26. November 1922 in Minneapolis in Minnesota geboren. Ein Fernkurs an der Art Instruction Inc. stellte den Grundstock seiner künftigen Karriere als Zeichner dar. Doch zunächst mußte Schulz seinen Militärdienst ableisten. Danach fertigte er unter anderem das Lettering für die Comics eines religiösen Magazins an und unterrichtete als Lehrer für Animationsfilme an seiner früheren Schule, der Art Instruction Inc. Auch gelang es ihm, seine ersten Zeichnungen in verschiedenen Pressepublikationen zu veröffentlichen. Den großen Durchbruch hatte er mit den Peanuts, die er bis zu seiner Krebsdiagnose Ende 1999 im Alleingang erdachte und zeichnete. Charles M. Schulz starb am 12. Februar 2000. Der letzte Strip erschien einen Tag nach seinem Tod.

27. August 2008


Peanuts Werkausgabe
Band 5 - 1959 bis 1960
Charles M. Schulz
Carlsen Verlag, Hamburg, August 2008
344 Seiten, sw, Hardcover mit Schutzumschlag, 16,5 x 20,7 cm
mit einem Vorwort von Whoopi Goldberg
ISBN 978-3-551-78815-3