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LITERATUR/065: "Cartoons entwerfen und zeichnen" von Vincent Woodcock (SB)


Vincent Woodcock


Cartoons
entwerfen und zeichnen

Wer meint, mit diesem Buch eine Anleitung zum Zeichnen von Cartoons - womit im korrekten deutschen Sprachgebrauch in Abgrenzung zum Comic, bei dem es sich um eine Bildgeschichte handelt, der "Ein-Bild-Witz" gemeint ist [1] - in Händen zu haben, der irrt, denn bei dem Lehrbuch von Vincent Woodcock handelt es sich um einen Leitfaden für die Entwicklung von Zeichentrickfilm-Charakteren. Im englischsprachigen Raum versteht man unter "Cartoon" mehrerlei: Karikatur, Zeichentrickfilm, Bildfortsetzungsgeschichte, weshalb der Originaltitel auch genauer war. Er lautete korrekt "How to create Crazy Cartoon Characters", womit der potentielle Käufer eindeutig wußte, woran er war. Warum man es verlagsseitig zu diesem Übersetzungs-"Irrtum" kommen ließ, liegt auf der Hand: Da man wohl annahm, daß sich nicht so viele Menschen für das recht spezielle Gebiet der Zeichentrickanimation interessieren würden wie für das zeichnen von Cartoons, brach man den Titel kurzerhand auf den im Deutschen irreführenden Begriff "Cartoons" herunter.

Das ist Verlagspolitik und dafür kann der Autor Vincent Woodcock nichts, der sich in seinem Buch redlich Mühe gibt, "... die Art von Leitfaden zu erstellen, die ich mir selbst als Berufsanfänger gewünscht hätte." (Vorwort, Seite 7) Ob ihm dieser Leitfaden als blutigem Anfänger tatsächlich geholfen hätte, bleibt allerdings anzuzweifeln, denn sein Buch richtet sich mehr an Menschen, die im Zeichnen schon etwas geübter sind. Zwar werden im ersten Kapitel, betitelt "Bevor es losgeht", recht ausführlich die Materialien besprochen - Grundausstattung, Skizzenbüchern und den Zeichenmedien Bleistift, Tusche und Farbe sind jeweils eigene und im Rahmen des Umfangs dieses Werkes recht ausführliche Abschnitte gewidmet, die insgesamt fast ein Viertel des Buches ausmachen. Hier finden sich auch aufmunternde Worte, die man in jedem Lehrbuch dieser Art antrifft und die in etwa immer eines besagen: Kein Meister ist je vom Himmel gefallen und man sollte üben, üben, üben.

Im Kapitel "Zeichnen - die Grundlagen" geht es dann jedoch recht verkürzt weiter. Dem Abschnitt "Anatomie" sind gerade mal vier Seiten gewidmet, die wirklich nur allernötigste Hinweise beinhalten und für einen echten Anfänger als Anregung beileibe nicht ausreichen, um sich auf den zeichnerischen Weg zu machen, zumal es sich bei den Abbildungen fast ausschließlich um Strichmännchen handelt, die unterschiedliche Posen einnehmen. Daß es gar nicht so leicht ist und einer gewissen zeichnerischen Übung bedarf, um eine bewegte Figur überzeugend zu zeichnen, auch wenn sie sehr schlicht gestaltet ist, verschweigt das Buch an dieser Stelle. Eine Mini-Abhandlung von zwei Seiten über das "Baukastensystem", eine Zeichenmethode, bei der die Figuren aus unterschiedlichen geometischen Formen zusammengesetzt werden, schließt sich daran an. Die Methode wird als "für all jene sehr hilfreich, die in Anatomie noch nicht so sicher sind" (Seite 34) dargestellt, wobei mit keinem Wort erwähnt wird, daß man, um auf dieser Basis eine befriedigende Zeichengrundlage zu erhalten, über Grundkenntnisse der Perspektive verfügen sollte. Frust ist hier vorprogrammiert, wenn man sich als Anfänger an den Zeichenblock setzt und Ergebnisse erwartet, die den abgebildeten Beispielen entsprechen, weil sie ja "so einfach" aussehen. Mit "Hände", "Perspektive", "Silhouette" folgen drei weitere kleine Abhandlungen, an die sich, nun ausführlicher werdend, die Abschnitte "Kopf und Gesicht" sowie "Elemente des Gesichts" anschließen, die eher eine Anregung für etwas fortgeschrittenere Zeichner darstellen.

Im Kapitel "Figuren entwerfen" präsentiert Vincent Woodcock leider nur wenige Beispiele dafür, wie man Schritt für Schritt aus einer realistischen Vorlage eine Karikatur bzw. einen Zeichentrick-Charakterkopf entwickeln kann. Schade, denn die beiden, jeweils auf einer Doppelseite vorgestellten Ergebnisse einer solchen Umsetzung sind sehr anschaulich, machen die spezifischen Probleme deutlich und stellen eine sinnvolle Anregung für eigene Versuche dar, während die folgenden Seiten hauptsächlich als Präsentation einer Woodcock'schen Freakshow genutzt werden, denn eine systematische Hinführung des Lesers zu überzeugenden eigenen zeichnerischen Leistungen findet nicht statt. Dabei spielt weniger eine Rolle, daß die zum großen Teil sehr "crazy" aussehenden Charaktere nicht unbedingt jedermanns Geschmack triffen, schwerer wiegt, daß die Hinweise zum Entwickeln dieser Figuren so rar gesät sind. Immerhin sind die Beispiele nach Themen wie "In Bewegung", "Körpersprache", "Typologie" oder "Tiere" geordnet, und wurden mit Kommentaren versehen, die auf bestimmte Aspekte hinweisen und aus denen sich der interessierte Leser gewiß den einen oder anderen Hinweis für seine eigenen zeichnerischen Versuche herausklauben kann.

Zwar werden unter den Überschriften "Beleuchtung", "Cartoon-Effekte" und "Requisiten", die dieses Kapiel abschließen, nur randläufige Kommentare zu einigen, wie es scheint, ziemlich willkürlich ausgewählten Abbildungen gegeben, immerhin erhält der Leser aber brauchbare Anregungen wie: "Auch bei einfachen oder bewußt stilisierten Figuren sollten Sie immer versuchen, ein Gefühl für die Begleitumstände und die Auswirkungen einer Situation zu vermitteln - allerdings cartoonhaft. Wie beispielsweise Feuer gezeichnet wird, ist nicht annähernd so wichtig wie die Auswirkungen, die es auf ihre Figur hat. Sie müssen Wege finden, die physischen Begleitumstände von Hitze, Nässe, Kälte usw. erlebbar zu machen - ohne jedoch in Klischees abzugleiten." (Seite 98)

Das Kapitel "So arbeiten die Profis" zeigt zum Abschluß einige Beispiele professioneller Figuren-Designer sowie verschiedene Entwurfsmethoden.

Das mit einem Preis von 14,95 Euro recht preiswerte Buch stellt somit eine, wenn auch nicht didaktisch ausgereifte, dafür aber bunte und vielfältige Anregungs-Sammlung dar, die durchaus zur Erweiterung des (schon vorhandenen) eigenen Ansatzes genutzt werden kann.


[1] Cartoon: engl.; dt.: Witzzeichnung, Karikatur. Der Begriff meinte ursprünglich den Karton, auf den Vorlagen für Gobelins und großformatige Werke der bildenden Kunst skizziert wurden. In der Gegenwart bezeichnet C. in einer engeren, systematischen Verwendung den Ein-Bild-Witz (-> Panel comic) in Abgrenzung zum -> Comic.
aus: Comics - Geschichte einer populären Literaturform in Deutschland seit 1945 von Bernd Dolle Weinkauff, Beltz Verlag, Weinheim und Basel 1990

14. Mai 2009

Vincent Woodcock
Cartoons entwerfen und zeichnen
Knaur Verlag, München, 16.2.2009
128 Seiten, Softcover, 21,5 x 28 cm, 14,95 Euro
ISBN 978-3-426-64735-6