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HINTERGRUND/008: Mickey Mouse - Tonfilmpionier und Weltstar (SB)


Vom Kaninchen Oswald zum Mäuserich mit Weltruhm


Am 18. November 1928 hatte Walt Disneys Mickey Mouse ihren ersten öffentlichen Auftritt in dem Film "Steamboat Willie". Dieses Datum gilt seither als der offizielle "Geburtstag" der berühmten Maus.

Über ihre Entstehung kursieren zahlreiche Geschichten. Eine davon ist die folgende: Der junge Walter Elias Disney jr., von allen "Walt" genannt, Besitzer eines kleinen, aufstrebenden Trickfilmstudios, hatte mit einer Serie um ein Kaninchen namens Oswald recht beachtlichen Erfolg verbuchen können. 26 Folgen hatten Disney und seine Mitarbeiter, zu denen als Mitbesitzer auch Bruder Roy und Chefzeichner Ub Iwerks gehörten, bereits produziert. Doch Charles Mintz, Besitzer des Filmverleihs, in dessen Auftrag die Serie produziert wurde, hatte sich unterdessen mit dem Chef von Universal, Carl Laemmle zusammengetan, um Disney seinen Oswald zu rauben. Unter dem Vorwand, daß die Oswald-Filme aufgrund ständig vorgenommener technischer Verbesserungen zu teuer geworden wären, legte Mintz Disney unzumutbare Vertragsbedingungen auf und drohte, die Serie künftig in Eigenregie zu produzieren - mit Disneys besten Mitarbeitern, die sich in der Überzeugung, daß Disney den Übernahmeversuchen nicht würde widerstehen können, von dem skrupellosen Filmverleiher hatten abwerben lassen.

Bei einer Durchsicht der Verträge stellte Disney fest, daß er Mintz die Namensrechte an Oswald zugestanden hatte. Nun war guter Rat teuer. Der eilig antelefonierte Bruder Roy empfahl, in den sauren Apfel zu beißen und den neuen Vertrag mit Mintz zu akzeptieren, auch wenn man dabei auf alle Rechte an Oswald verzichten mußte. Damit wollte er dem Studio wenigstens Zeit und die nötigen finanziellen Mittel verschaffen, um eine neue Figur zu entwickeln.

Niedergeschlagen saßen Walt Disney und seine Frau Lillian nach Abschluß dieses Vertrages in ihrem Zug, der sie zurück nach Hause bringen sollte. Und schon auf dieser Fahrt, so heißt es in der Geschichte weiter, kam Disney die zündende Idee. Nach dem Vorbild einer Maus, die er während seiner Zeit bei der Firma Newman Laugh- O-Grams in einem Käfig auf seinem Schreibtisch gehalten hatte, entwickelte er in raschen Strichen eine neue Zeichentrickfigur. Mortimer sollte sie heißen, was Lillian Disney jedoch zu brav erschien. Sie schlug daher kurzerhand "Mickey" vor. Den Rest der Zugfahrt verbrachte Disney damit, die Geschichte für den ersten Zeichentrickfilm mit der Maus auszuarbeiten.

Wahrscheinlich hat sich die Entstehung der Maus aber etwas anders zugetragen. Wie der Disney-Biograph Marc Eliot berichtet, soll Walt Disney zwar tatsächlich eine Maus entwickelt haben, die jedoch von Ub Iwerks wieder verworfen wurde. Dieser holte statt dessen eine Oswald-Zeichnung hervor und veränderte lediglich Augen und Ohren - womit er Mintz und Co. das gestohlene Kaninchen praktisch zurückraubte.

Die frühe Mickey Mouse sah ein wenig anders aus als der Mäuserich von heute. "Mickey", erzählte Walt Disney später, "mußte vor allem als Figur einfach zu zeichnen sein. Da wir alle zwei Wochen 200 Meter Film abzuliefern hatten, konnten wir uns nicht mit einer komplizierten Figur abgeben. Der Kopf bestand aus einem Kreis mit einem Oval für das Schnäuzchen. Die Ohren waren auch Kreise, so daß sie immer in gleicher Weise gezeichnet werden konnten, gleichgültig, wie Mickey den Kopf drehte. Der birnenförmige Körper hatte einen langen Schwanz. Die Beine glichen Röhren, und wir steckten sie in große Schuhe. Mickey sollte wie ein Junge in den Schuhen seines Vaters wirken."

Obwohl die Kinobesitzer von den ersten beiden Mickey-Mouse-Filmen sehr angetan waren - im ersten ging er samt Freundin Minnie in einem selbstgebastelten Flugzeug in die Lüfte, im zweiten ritt er als galoppierender Gaucho auf dem Rücken eines Straußes -, zögerten sie damit, sie in ihr Programm aufzunehmen, denn es handelte sich um Stummfilme. Unterdessen hatte jedoch der Tonfilm seinen Siegeszug angretreten. Kurzentschlossen setzte der experimentierfreudige Walt Disney alles auf eine Karte und stellte einen dritten Film mit Mickey her, den er erstmals vertonte. In "Steamboat Willie" ("Dampfschiff Willie"), der dann schließlich zur Aufführung kam und am 18. November 1928 im New Yorker Colony Theatre in Manhattan Premiere hatte, sorgten Kuhglocken, Pfeifen und Bratpfannen für lustige und überraschende Toneffekte, ein Orchester spielte den "Yankee Doodle" und andere bekannte Volkslieder, und Walt Disney persönlich lieh Mickey seine Stimme (was er bis 1946 beibehielt).

Von Anfang an war dieser Film, der zugleich auch der erste Zeichentrick-Tonfilm war, sowohl beim Publikum als auch bei der Kritik ein außerordentlicher Erfolg, was zu einem guten Teil wohl auch an der gelungenen Musikuntermalung lag, bei der man beinahe den Eindruck haben konnte, daß die Bilder sich der Musik anglichen und nicht umgekehrt. Der Einfallsreichtum, mit dem Disney es verstand, Klänge und Musik einzusetzen, wurde in der Anfangszeit des Tonfilms sehr geschätzt. Das Publikum war begeistert, die Presse nannte den kleinen Tonfilm sensationell - und schon wenig später zog Mickey Mouse in den gewaltigen Roxy- Filmpalast um. Mickey Mouse war quasi über Nacht ein Star geworden.

In den späten zwanziger und dreißiger Jahren stellte Walt Disneys Studio zahllose Kurzfilme her, die Mickeys Stellung als einer der führenden Filmstars weiter festigten. Seine Unbekümmertheit, sein Mut und sein fester Wille, sich auf keinen Fall unterkriegen zu lassen, fand begeisterten Anklang bei einem Publikum, das in jenen wirtschaftlich schweren Zeiten nicht viel zu lachen hatte. Innerhalb von wenigen Monaten wurde Mickey, der zu Beginn seiner Karriere ein ziemlicher Raufbold war, zum absoluten Idol des amerikanischen Publikums. 1931 wurde Walt Disney gar Ehren-Oscar für die Erfindung der Mickey Mouse verliehen. Der Mäuserich war so populär, daß man ihn ins Lexikon aufnahm.

Mickeys unumschränkte Vorherrschaft währte bis 1934. Dann hatte ein ungehobelter Bursche namens Donald Duck, der zuvor schon mit einer kleinen Rolle in "The Wise Little Hen" aufgefallen war, einen Auftritt in einem seiner Filme - und stahl Mickey prompt die Show. In "Orphans Benefit" ("Auftritt für die Waisenkinder") organisiert Mickey eine Theatervorstellung für eine Gruppe von Waisen-Mäusekindern. Hier tut sich Donald als Gedichtrezitator hervor, doch bei den Kleinen kommt sein Vortrag überhaupt nicht an. Sie stören seinen Auftritt, bis Donald der Kragen platzt und prompt eine wüste Saalschlacht entbrennt. Von nun an stand Rauhbein Donald in der Gunst des Publikums ganz oben.

Selbst Walt Disney sagte späterhin über Mickey: "Mickey ist unser Problemkind. Er ist eine solche Institution geworden, daß uns in seiner Gestaltung Grenzen gezogen sind. Wenn wir Mickey jemanden in den Hintern treten lassen, bekommen wir Millionen Briefe von Müttern, die uns sagen, daß wir ihren Kindern falsche Vorstellungen machen. Mickey muß immer süß sein, immer liebenswert. Was kann man mit einem solchen Hauptdarsteller machen?"

Ab 1935 stellte Walt Disney die Mickey-Mouse-Filme von Schwarzweiß auf Farbe um, und in seinem ersten Technicolor-Film, "The Band Concert" ("Lachkonzert in Entenhausen"), waren zwei seiner Partner längst keine Unbekannten mehr: Goofy und Donald Duck, der Kapellmeister Mickey mit einem von diesem nicht bestellten Querflötensolo entsetzlich auf die Nerven ging. Mickeys treuer Hund Pluto war am Anfang übrigens alles andere als sein bester Freund: In seinem ersten Filmauftritt 1930 war er einer von zwei Hunden, die den entflohenen Sträfling Mickey verfolgten.

Im Januar 1930 erschien der erste "Mickey Mouse"-Comic. Auch hier war Mickey weitaus ruppiger als wir ihn heute kennen und am Anfang gab es in fast jeder Folge der als fortgesetzte, längere Stories angelegten Daily Strips eine zünftige Rauferei. Doch schon bald verlegten sich die Zeichner, dem Trend folgend, daß Abenteuerhelden in der Gunst des Publikums ganz oben standen, auf komplexere Abenteuer mit kriminalistischem Hintergrund. Im Zuge dieser Abenteuer wurde auch Mickeys Charakter mehr und mehr verändert, bis er zu dem heute bekannten, wohlanständigen Mäuserich geworden war. Neben den Comics gab es auch Mickey Mouse- Spielzeug jeder Art, Mickey Mouse-Besteck, Mickey Mouse-Lampen, Mickey Mouse-Taschentücher, Mickey Mouse-Pyjamas und ein Mickey Mouse-Telefon. Zu den absoluten Rennern gehörten die Mickey Mouse- Uhren, von denen alleine zwischen Juni 1933 und Juni 1935 2,5 Millionen Stück verkauft wurden.

Mickey beste Tage sind zwar längst vorbei, doch als Wappentier ziert der unverwechselbare Mäusekopf mit den kreisrunden schwarzen Ohren bis heute das Logo der Walt Disney Company.

8. März 2007