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MARVEL-BROKER/015: Secret War Band 1


Brian M. Bendis, Gabriele Dell'Otto


SECRET WAR Band 1: Buch Eins, Buch Zwei



Marvel im Wandel

Was erwartet den geneigten Leser bei "SECRET WAR" von Brian M. Bendis, jenem Autor, der bei Marvel die Serie "DIE RÄCHER" mit dem festen Ziel vor Augen übernommen hatte, sie und dabei auch einige ihrer Mitglieder zu vernichten, um aus den Resten des alten Teams mit neuen Mitgliedern und einer neuen Aufgabe das nächste Rächer-Team zu formen? Auf jeden Fall wird er mit gravierenden Veränderungen konfrontiert und zwar nicht nur bei den einzelnen Stories bzw. Serien, sondern vor allem in der politischen Ausrichtung innerhalb des Marvel Universums: Captain America, der Supersoldat, jenes Produkt der amerikanischen Propaganda, der erfolgreich gegen das Nazi-Deutschland - vertreten durch den Red Skull - gestritten hat, kehrt zu seiner ursprünglichen Bestimmung zurück und bekämpft im Irak den Terror.

Der Wandel in der amerikanischen Politik durch den US-Präsidenten George W. Bush mit seinem weltweit ausgerufenen Krieg gegen den Terror hat zu grundlegenden Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft geführt und vor dem Marvel Universum nicht Halt gemacht. Ein absichtlich weitreichend interpretierbarer Terrorismusbegriff diente in den letzten Jahren als Vorwand für alle möglichen Repressionen gegen religiöse, ethnische oder sonstige Minderheiten. Bei all den Fronten, die von der US- Administration in anderen Ländern eröffnet wurden, durfte natürlich nicht eine der wichtigsten fehlen: die Heimatfront. Das Patriot Act und die Antiterrorgesetze, die von 36 Bundesstaaten der USA nach 2001 beschlossen wurden, haben den Sicherheitsbehörden weitreichende Befugnisse gegenüber den Bürgern an die Hand gegeben. Was zunächst als Notstandsgesetzgebung ausgegeben wurde, ist längst zum Dauerzustand etabliert. Seit die Heimatschutzbehörde die diversen Geheimdienste, das FBI und die Polizei der einzelnen Bundesstaaten, die Streitkräfte und mehrere andere Bundesbehörden operativ zusammengebunden hat, blies sie sich zu einem monströsen Staatsschutzapparat auf, der die Bürger im irrigen Glauben läßt, die staatliche Militanz richte sich gegen islamische Terroristen und nicht gegen die eigene Bevölkerung. Wie sehr dies eine Täuschung ist, zeigt ein Beispiel aus New York, wo die Bezirksstaatsanwaltschaft der Bronx Anklage gegen Mitglieder der Streetgang St. James Boys unter Berufung auf das Terrorismusgesetz des Staates New York erhoben hat. Damit zählen Edgar Morales, alias "Puebla", und seine Gang zu den ersten überhaupt, gegen die das Terrorismusgesetz zur Anwendung gelangen soll.

Auch in "SECRET WAR" bei Marvel werden aus simplen Verbrechern Terroristen, wenn sie eine High-Tech-Ausrüstung mit technischen Gimmicks tragen, die über einen Mittelsmann von einem fremden Staat finanziert wurde. Und diese "Terroristen" bekommen es dann mit Nick Fury, dem Leiter der ehemaligen internationalen Spionageorganisation SHIELD, zu tun. Die hat sich mittlerweile in die UN-Einsatztruppe zur Friedenssicherung gewandelt. Deren Hauptquartier befindet sich in einem riesigen, ständig in der Luft schwebenden Helicarrier, einem Helikopter von der Größe eines Flugzeugträgers.

Doch was steckt hinter "SECRET WAR"? "SECRET WAR" ist eine fünfteilige Crossover-Miniserie, in der sich die Superhelden Spider-Man, Wolverine, Daredevil, Captain America und andere unter dem Befehl des "SHIELD"-Direktors Nick Fury zusammenfinden, um die Welt vor einer mysteriösen Bedrohung zu retten. Aber dieses seltsam zusammengesetzte Heldenteam muß dabei aus Gründen, die nur Fury kennt, im Geheimen agieren.

Schon hier wird deutlich, daß der Autor Brian M. Bendis (er schrieb u.a. Ultimate Spider-Man, The Pulse, Alias, Die Rächer, Powers und Daredevil ...) und Titelbild-Illustrator Gabriele Dell'Otto, der hiermit sein Serien-Debüt gibt, das Selbstverständis einer amerikanischen Politik aufzeigen, die nicht erst unter der Regentschaft von Bush salonfähig, sondern auch schon bei seinen Vorgängern betrieben wurde.

Seit mehr als 50 Jahren greift die CIA auf eine Weise in die Geschicke souveräner Staaten ein, die charakteristisch für das von Hegemoniestreben geprägte Verhältnis der USA zu den Ländern in der von Washington reklamierten Einflußsphäre ist. Im Jahr 1947 hatte US-Präsident Harry S. Truman grünes Licht für die Schaffung der Central Intelligence Agency gegeben, die noch während seiner Amtszeit begann, verdeckte Operationen im Ausland durchzuführen. Allerdings lehnte es Truman in diesen frühen Tagen der CIA ab, den Sturz fremder Regierungen zu autorisieren. Das sollte sich ändern, nachdem Dwight D. Eisenhower 1953 seine Nachfolge im Weißen Haus antrat. Als erstes Opfer dieser Strategie wurde der iranische Premierminister Mohammad Mossadegh am 19. August 1953 aus dem Amt geputscht. Zehn Monate später, am 27. Juni 1954, folgte mit Jacobo Arbenz der Präsident Guatemalas, der ebenfalls auf Initiative und unter Regie des US- Geheimdienstes gewaltsam gestürzt wurde.

In "SECRET WAR" wird diese Methode des Umsturzes in leicht abgewandelter Form favorisiert. Wohingegen die Art der Diplomatie, amerikanisch gewogene Kräfte eines Staates durch finanzielle Unterstützung an die Regierungsmacht zu bringen - siehe Georgien, Ukraine, und im Falle von "SECRET WAR" Latveria und seine Premierministerin Lucia von Bardas - als ineffektiv kritisiert. Als der amtierende US-Präsident bei einer Lagebesprechung mit Nick Fury nicht auf dessen bereitliegende Angriffspläne eingeht, beschließt der Leiter von SHIELD, mit einer Handvoll von Superhelden die Regierung von Latveria zu stürzen.

So ist es also nicht verwunderlich, daß in der Story die Superhelden im Geheimen agieren, in ähnlicher Weise, wie sie der Pulitzerpreisträger Seymour Hersh mit dem Artikel "The Coming Wars - What the Pentagon can now do in secret", in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift New Yorker am 16. Januar 2005 geschrieben hatte. So soll vor einiger Zeit US-Präsident George W. Bush eine Reihe von geheimen Exekutivbefehlen unterzeichnet haben, welche es Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ermöglichen, illegale Sabotage- und Hinrichtungsaktionen im Ausland durchführen zu lassen, ohne daß der Kongreß - wie bisher im Falle der CIA - darüber informiert werden müßte. Damit hätten Bush und Rumsfeld ein "weltweites Schußfeld" geschaffen und jeden "Bösewicht" oder "Terroristen" für vogelfrei erklärt, so Hersh. In den beiden vorliegenden Teilen zu "SECRET WAR" wird dagegen noch der Eindruck erweckt, daß Nick Fury auf eigene Faust handelt.

Hinrichtungsaktionen, das wäre wohl bei Marvel ein wenig zu weit gegriffen, könnte man meinen, erinnern sich doch alte Marvel-Fans, daß es ja in den vielen Geschichten über all die Jahre hinweg so gut wie keine Toten, geschweige dann Tötungen gegeben hat. Und doch fallen in "SECRET WAR" die ersten Grenzen. Da wird ein Kleinkrimineller von SHIELDs Verhörspezialisten wie ein Stück Dreck behandelt, durch physische und psychische Gewaltanwendung gefoltert, anschließend erpreßt und dadurch in den Tot getrieben - was ja nur eine Variante in dem Spektrum von Hinrichtungen wäre.

Hier spiegelt sich nur das wider, was die Bush-Administration in der Einrichtung des Gefangenenlagers auf dem Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba, wo über 550 aus Ländern des islamischen Kulturraums stammende "feindliche Kombattanten" durch das US- Militär interniert sind, im Zuge des Angriffskriegs gegen Afghanistan im Oktober 2001 und in dem US-Militärgefängnis Abu Ghraib im Irak weltweit hoffähig gemacht hat: Die Folter. Ausgeführt und überwacht wird sie durch sogenannte Verhörspezialisten, teilweise auch über die Befehlshierachie auf die Gefangenenwärter übertragen. Nicht, daß es zuvor keine Folter gegeben hätte, aber vor den Augen der Weltöffentlichkeit Menschen anderer souveräner Staaten aus allen Winkeln der Erde wie Vieh zum US-Stützpunkt Guantánamo Bay zu verfrachten und dort in Käfige zu stecken, hat in seiner Zurschaustellung der eigenen Gewaltmittel und -bereitschaft einen neuen Höhepunkt in der CIA- Foltertradition erreicht. Damit hat das Folterexportland Nummer eins neue Maßstäbe gesetzt, der sich anschließend andere Regierungen nur allzu gern bedienten.

Der Wandel bei Marvel scheint ja zumindest in der amerikanischen Leserschaft positiv aufgenommen worden zu sein, denn "SECRET WAR" ist die erfolgreichste Marvel-Serie der letzten Jahre. Ob es sich bei den Käufern um das gleiche Klientel handelt, das auch US- Präsident George W. Bush in seine zweite Amtszeit gewählt hat, bleibt spekulativ, ebenso wie die Frage, wie sich die Story in ihren ausstehenden drei Teilen entwickeln wird. Vielleicht erwartet die Leser ja doch noch eine kleine Überraschung.

Euer Marvel-Broker


SECRET WAR Band 1: Buch Eins, Buch Zwei
Autor: Brian M. Bendis, Zeichner: Gabriele Dell'Otto
Panini, Stuttgart, Februar 2005
52 Seiten, farbig, Softcover-Album, Kleinformat, 4,00 Euro